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fin.tank-Dossier zur Finanzmarktkommunikation in ungewöhnlichen Zeiten

Wall Street Flashmob – Teil I

In einer Welt von Bullen und Bären gehörten die Kleinanleger bisher eher zu den Lämmern der Aktienmärkte. Sie lassen sich leicht in Herden zusammentreiben, sei es von den Fondsverwaltern ihrer Banken oder den IPO-Kampagnen großer Unternehmen, für sich alleine stürzen sie regelmäßig in die Schluchten der ökonomischen Landschaft. Gelegentlich stören sie Hauptversammlungen mit querulatorischen Anträgen, meist aber holen sie sich nur still ihre Bockwurst ab. Im Januar 2021 sollte sich aber zeigen, dass unter dem Schafspelz auch ein Wolf stecken kann. Seit dem Herbst haben sich nämlich etliche dieser verachteten Kleinanleger im Reddit-Subforum r/wallstreetbets dazu verabredet, einige der größten Player im Markt mit Hilfe einer selbstinitiierten Blase für Aktien der Spielekette GameStop über ihre eigenen Füße stolpern zu lassen.

Das Seifenblasenspiel – Vom Tulpenfieber zur Dotcom-Bubble

Was da als subversiver Mechanismus genutzt werden soll ist ein altbekanntes Phänomen. Blasen gibt es schon seit Jahrhunderten und das anschaulichste Beispiel dafür ist immer noch das niederländische Tulpenfieber von 1636/1637. Damals wird die Tulpe vom beliebten Statussymbol einer schwer reichen Kaufmannschaft binnen kürzester Zeit zum Spekulationsobjekt an Derivatemärkten. Niemand will die Tulpe mehr blühen sehen, es geht nur noch darum, die Zwiebel oder besser noch einen Terminkontrakt auf die Zwiebel möglichst gewinnbringend zu handeln. Die Preise steigen ins Unermessliche und die Gewinne aller, die rechtzeitig eingestiegen sind, steigen entsprechend mit. So etwas kann natürlich nicht beliebig lange gutgehen, die Blase platzt und den Letzten beißen die Hunde. Langfristige Lehren aus dem Phänomen zieht allerdings niemand und so zieht sich eine Kette von Blasen durch die Jahrhunderte.

Alles was gut klingt, schwer zu verstehen ist und märchenhafte Gewinne verheißt, bringt Blasenpotential mit, sei es im 18. Jahrhundert der Südseehandel oder in jüngster Vergangenheit das Geschäft mit allem, was durch ein .com an der URL digitale Zukunft andeutet. Allen diesen Blasen ist gemeinsam, dass sie außen schillern und innen hohl sind. Weniger poetisch ausgedrückt: Der Aktienpreis koppelt sich völlig vom Fundamentalwert ab. Was auch immer man bezahlt, es gibt stets noch einen größeren Idioten, der einem das Objekt der Begierde gewinnbringend abnimmt. Dabei spielt es dann keine Rolle, woran man theoretisch Anteile erwirbt, weil man es ohnehin nicht behalten will. Im Extremfall gibt es diesen Fundamentalwert nicht einmal. Treiber der Blase ist nämlich nicht das erworbene Objekt, sondern die Erwartung, am ringsum beobachteten Geldeinsacken teilzuhaben. Es entsteht eine selbstverstärkende Nachfragespirale, die den Preis treibt, bis der unvermeidliche Crash kommt.

GameStop – Kaufrausch nach neuen Regeln

Auf den ersten Blick reiht sich die GameStop-Aktion in diese lange Tradition von Börsenblasen ein. Auf den zweiten Blick zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede. Es lohnt sich also, Ablauf und Mechanismus genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Börsenwert im Zentrum der Blase ist GameStop, eine internationale Kette stationärer Geschäfte, die Spiele in Einkaufsstraßen verkauft. Ein kläglicheres Geschäftsmodell ist in einer Zeit der Digitalisierung kaum vorstellbar, die Verluste betrugen regelmäßig Hunderte von Millionen und eine Filiale nach der anderen wird geschlossen. Für Hedgefonds ist es also eine sichere Wette, mit Leerverkäufen auf sinkende Kurse des todgeweihten Unternehmens zu setzen. Dass damit auch die Verpflichtung eingeht, die gehandelten Aktien auch bei Kursanstiegen liefern zu müssen, kann scheinbar ohne großes Risiko in Kauf genommen werden.

Nun allerdings tritt der Finanzanalyst Keith Gill auf den Plan, der kluge Ideen, aber nicht das große Geld hat. Folgerichtig geht er sein Projekt mit begrenzten Käufen und intensiver Kommunikation an. Sein gesamtes Invest in GameStop liegt kaum über 50.000 USD, dafür stößt er durch hartnäckige Posts im Sozialen Netzwerk Reddit die geplante Blasenbildung erfolgreich an. Was er im Sinn hat, ist ein Short Squeeze. Gelingt es, den Kurs von GameStop deutlich in die Höhe zu treiben, müssen die leerverkaufenden Hedgefonds diesen Preis bei Fälligkeit zähneknirschend zahlen und damit die Finanzguerrillas von r/wallstreetbets reich machen.

Während sich ringsherum Corona anschleicht, geht auch der Gill’sche Plan entlang einer exponentiellen Kurve viral. Nach dem Start der Aktion im Jahr 2019 können sich mutige Kleinaktionäre noch lange zu Kursen weit unter 10 USD eindecken. Ab Dezember 2020 riechen auch Großaktionäre den Braten und das Projekt nimmt Tempo auf. Als im Januar 2021 dann Elon Musk wieder einmal die Finger nicht stillhalten kann und in seinem Twitter-Account einen Link auf r/wallstreetbets setzt, gibt es kein Halten mehr. Der Kurs geht so steil nach oben, wie es sich für eine exponentielle Kurve gehört. Obwohl Handelsplattformen wie Robinhood in den USA und Trade Republic in Deutschland zwischenzeitlich Käufe unterbinden, erreicht der Kurs einen Maximalwert von knapp unter 500 USD.

Die Zeche zahlen nicht blasentypisch die zuletzt eingestiegenen Kleinanleger, sondern ganz im Gegenteil die großen Erstakteure im Geschäft.

Bis zu diesem Punkt sieht das Ganze einer gewöhnlichen Blase ziemlich ähnlich. Drei wichtige Punkte unterscheiden die GameStop-Aktion aber davon. Erstens: Die Nachfragespirale entsteht nicht selbstständig im Markt, sondern ist sorgfältig geplant. Zweitens: Es folgt kein brutaler Crash, sondern der Kurs pendelt sich auf rund 100 USD ein, was sogar GameStop ein bequemes Überleben sichert. Drittens und vielleicht am Wichtigsten: Die Zeche zahlen nicht blasentypisch die zuletzt eingestiegenen Kleinanleger, sondern ganz im Gegenteil die großen Erstakteure im Geschäft. Die beteiligten Hedgefonds werden für ihre Leerverkaufsstrategie mit Verlusten von gigantischen 19 Milliarden USD bestraft, was einige von ihnen bis an den Rand der Insolvenz bringt. Es ist also etwas Gewaltiges und völlig Neues an den Börsen geschehen.

Kommunikation – Die neue Macht der Flashmobs

Es lohnt sich, dieses Phänomen aus einem kommunikativen Blickwinkel zu betrachten. Dabei ist für uns zunächst einmal eine Begriffsklärung erforderlich. Vor allem in den zahlreichen englischsprachigen Artikeln zum Thema wird die GameStop-Aktion als Meme eingeordnet, sprich als kreativer Inhalt, der nach komplexen Mechanismen in den Sozialen Medien viral geht. Bisher ist es allerdings noch niemand gelungen, ein Kochrezept für Memes zu entwickeln. Warum ein mediales Angebot einen viralen Verbreitungsgrad erreicht, lässt sich im Nachhinein meist gut erklären, im Vorhinein aber ebenso wenig prognostizieren wie die Lottozahlen der nächsten Ziehung. Für uns liegt zur Beschreibung des kaltschnäuzig angezettelten Short Squeeze bei GameStop daher viel eher der Begriff des Flashmobs nahe, bei dem sich Menschen in den Sozialen Medien zu einer subversiven Aktion verabreden. Das ist zwar nur der Kristallisationskern der angestrebten Blase, aber wie bei einer La Ola reichen nachgewiesenermaßen 25 – 35 Gleichgesinnte, um ein Stadion mit Zehntausenden von Menschen in Bewegung zu bringen.

Ganz unabhängig von der Frage der Benennung ist aber klar, dass die GameStop-Aktion nur aufgrund eines grundlegend veränderten kommunikativen Umfeldes möglich war. Schon immer war Information der Treibstoff der Börsen. Früher reichte es aus, einen berittenen Kurier durch die Steppe zu jagen, um den entscheidenden Informationsvorsprung über die aktuelle Tee-Ernte in China zu haben. Später brauchte es flotte Datenleitungen, um einen Arbitragehandel im Millisekundenbereich zu betreiben. Das alles aber war ein Thema für Profis. Erst in einer Blase erreichten Börseninformationen über die Printmedien auch den Kleinanleger, der dann als Letzter zugriff und am Ende die Zeche zahlte. Heute politisch völlig unkorrekt, aber dennoch sehr anschaulich, wurde so etwas früher als Dienstmädchenhausse bezeichnet.

Schon immer war Information der Treibstoff der Börsen. Früher reichte es aus, einen berittenen Kurier durch die Steppe zu jagen, um den entscheidenden Informationsvorsprung über die aktuelle Tee-Ernte in China zu haben. Heute ist das ganz anders.

Im Zeitalter Sozialer Medien hat sich die Kommunikation und damit auch die Bildung von Öffentlichkeit völlig verändert. So wie Nachrichten heute unbekümmert an den ehemaligen Gatekeepern der klassischen Medien vorbeitransportiert werden, gelangen auch Informationen über Wirtschaft, Kurse und mögliche Gewinnstrategien ohne jede Filterung durch professionelle Akteure auf die Smartphones der Bürger. Die Internetforen der Dotcom-Bubble waren nur ein Vorgeschmack, denn sie erreichten nur einen kleinen Kreis von Digital Natives. Um den großen Lemmingzug der T-Aktionäre in Richtung Klippe zu lenken, musste also noch Manfred Krug selig im Fernsehen voranmarschieren. So etwas ist unweigerlich Vergangenheit, alleine schon, weil vor den öffentlich-rechtlichen Bildschirmen kaum noch Menschen mit eigenen Zähnen sitzen. Die relevanten Zielgruppen erreicht man selbst im digitalen Entwicklungsland der Dichter und Denker nur noch über die kaum kontrollierbaren Kanäle der Sozialen Medien.

Die Zukunft – Gekommen, um zu bleiben

Der Geist ist also aus der Flasche und wird sich wohl kaum in diese zurücklocken lassen. Auf die GameStop-Aktion sind rasch weitere gefolgt, die alle auf dem Short Squeeze-Prinzip basieren. Prominente Fälle sind beispielsweise der coronageplagte Kinobetreiber AMC Entertainment oder das Disruptionsopfer BlackBerry. Ob dies Spiel dauerhaft erfolgreich bleiben kann, ist offen, die Effizienz der Aktionen nimmt jedenfalls deutlich ab. Dieser Zweifel betrifft aber nur das eng gefasste Prinzip, leerverkaufende Hedgefonds anzugreifen, die inzwischen deutlich sensibler für die potentiellen Gefahren ihrer Strategie sind. Soziale Medien als neue Größe in der Finanzkommunikation werden aber ebenso bleiben, wie sie die Medienwelt insgesamt verändern. Dies sorgt aber auch dauerhaft für die Wahrscheinlichkeit, dass sich hier Massenphänomene ereignen – sei es als mehr oder weniger zufälliges Meme, als Einzelaktion erratischer Meinungsführer oder erneut als strategisch organisierter Flashmob, der anfällige Mechanismen der Aktienmärkte ausnutzt. Dass Finanzkommunikation für die börsenaffinen jungen Generationen generell neue Wege gehen muss, haben wir bereits in einem früheren Dossier beschrieben. Welche Fragen die neue Guerillastrategie im Aktienmarkt aufwirft, wer die Gewinner und Verlierer sind und wie Finanzkommunikation mit den neuen Herausforderungen umgehen kann, werden wir in einem weiteren Dossier beleuchten.

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