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Warum wir in der internen Kommunikation bewusst mehr Konflikte zulassen und inszenieren sollten

Drama (und Spiele) Baby!

Harmonie ist Gift. Zumindest, wenn sie in Unternehmen genutzt wird, um einem Konflikt aus dem Wege zu gehen. Organisationen scheuen oft den Streit und machen auf gute Stimmung. Doch das löst keine Probleme. Die vornehmste Rolle der Internen Kommunikation sollte es daher sein, eine neue Streitkultur zu etablieren. Das Dossier gibt da einige Anregungen für den optimalen Inszenierungsrahmen.

Wir leben in Zeiten mit sinkenden Aufmerksamkeitsspannen. Ob sie inzwischen unterhalb des berühmten Goldfisches liegt oder nicht, Fakt ist: Wir springen gedanklich durch den Alltag, denken Themen nicht zu Ende, hören nur bis zur Hälfte und sind eigentlich schon längst wieder beim nächsten schnellen Impuls. So weit, so normal, auch im Job. Hier kommt hinzu: Die meisten von uns wollen ihre Ruhe. Wer den Konflikt vermeidet, kommt besser durch den Alltag. Wenn wir dann noch mit der Kommunikation unsere Transformations- und Changeprojekte in wohlige Harmonieschaumbäder verpacken, werden das im Rahmen von Employee-Experience-Strategien wie „Better together“ oder „Improve 2.0“ sicher viele nett finden. Gezielte Veränderung und Transformation können so allerdings nicht stattfinden.

Ist ja alles so schön harmonisch hier

Das gilt umso mehr bei virtuellen Formaten. Wenn im Kalender Videokonferenz auf Videokonferenz auf Videokonferenz folgt, ist es vom Nicken zum Einnicken nicht mehr weit. Kamera aus, gute Nacht. Wenn alle einander immer nur freundlich zunicken, bekommen wir eine Transformation nicht hin. Wo es keine Streitkultur gibt, können wir Probleme nicht lösen. Bunte PowerPoints und harmonische Video-Einspieler sorgen vielleicht für gute Stimmung und oberflächliche Harmonie. Echte Probleme lösen sie allerdings nicht. Lasst uns also wieder streiten lernen. Die Interne Kommunikation muss hier gleichermaßen (Brand-)Anstifterin wie Schiedsrichterin und Moderatorin sein. Sie muss die gezielte Auseinandersetzung inszenieren, muss Konflikte zulassen und Formate anbieten, damit Menschen mit verschiedenen Hintergründen, Interessen und Perspektiven den gepflegten Streit im Sinne einer Problemlösung suchen können.

Damit das gelingen kann, sind drei Faktoren essenziell:

1. Nicht von Harmonie blenden lassen – echte Partizipation statt Scheinbeteiligung

Harmonie ist grundsätzlich eine feine Sache. Nur im Einklang, in der Übereinstimmung, kann eben (meistens) kein echtes Problem gelöst werden, keine echte Neuerung entstehen. Gerade wenn es um Projekte geht, die die Kreativität fordern, sollten unterschiedliche, unkonventionelle Menschen am Tisch sitzen. Da müssen Visionär:innen mit Bedenkenträger:innen streiten können. Da dürfen Fachexpert:innen sich nicht vor den Quertreiber:innen scheuen. Das geht gegen unser grundsätzliches Ruhebedürfnis und macht die Arbeit vermutlich anstrengender. Nur das Ergebnis wird vermutlich deutlich besser und abseits des Mainstreams. Das setzt voraus, dass Organisationen Projekte nicht als Partizipationsillusion aufsetzen und lediglich eine Scheinbeteiligung vorgaukeln. Wie gehen wir dann mit den Ideen, Anregungen und Meinungen um? Sind wir bereit, sie tatsächlich zu realisieren und damit den Erfolg zu belegen? Die Interne Kommunikation muss dazu vor allem bei offenen, digitalen Plattformen und Social Collaboration Tools konsequent die Spielregeln setzen. 

2. Konflikte gehören auf den Tisch, nicht unter den Teppich.

Menschen, Unternehmen und Organisationen zeigen eine erstaunliche Resilienz gegenüber Veränderungen. Eine veränderte Teamstruktur, ein agiler Arbeitsprozess, eine neue Software. Häufig wird dann erst einmal brav genickt und trotzdem mit „Geht nicht, haben wir schon immer so gemacht“ weitergewerkelt. Konflikten wird aus dem Weg gegangen oder so getan, als gäbe es sie nicht. Die Interne Kommunikation folgt dann häufig noch dem fatalen Impuls, auch in den eigenen Formaten eher mit Harmonie einzulullen, statt Tacheles zu sprechen. Alles läuft, alles ist on Track, wir sind super … Spätestens dann feiern Flurfunk und Kaffeeküche ihre Renaissance als Epizentren für die wirklich kritischen Themen. 

Klar ist, Konflikte gehören auf den Tisch, nicht unter den Teppich. Eine Organisation muss und kann es aushalten, auch kritische Themen auszutragen. Nicht im Sinne effekthascherischer Aufgeregtheit oder stumpfer Empörung. Sondern im Sinne eines auch anstrengenden Diskurses, der echten Lösungen für echte Probleme sucht.

3. Das eigentliche Problem erkennen und benennen

Die Interne Kommunikation setzt heute oft mit erheblichem Aufwand, viel Liebe zum Detail und großer Inszenierung digitale, hybride oder analoge Formate um. Doch die Erfolge bleiben häufig hinter den Erwartungen der verschiedenen internen Zielgruppen zurück. Dann wird im Nachgang diskutiert: Hätte es doch eine weitere Breakout Session gebraucht, war der Film zu wenig emotional oder ist das Buffet nicht gut gewesen …?

Es geht nicht um eine gute oder schlechte Dramaturgie oder die falsche, aufwändige Inszenierung und die technische Perfektion. Der eigentliche Schlüssel liegt in der genauen, tiefen Recherche im Vorfeld.

Doch auch wenn Liebe grundsätzlich durch den Magen geht, sind dies häufig die falschen Fragen. Es geht nicht um eine gute oder schlechte Dramaturgie oder die falsche, aufwändige Inszenierung und die technische Perfektion. Der eigentliche Schlüssel liegt in der genauen, tiefen Recherche im Vorfeld. Haben wir dem Flurfunk genau zugehört und daraus die richtigen Schlüsse gezogen? Ist uns bewusst, wo der Organisation wirklich der Schuh drückt? Welche Abteilungen mit welchen Themen besonders zu kämpfen haben? Schlicht: Sind wir wirklich bis zum Kern des Problems durchgedrungen und können diesen klar benennen? Nur, wenn uns das wirklich im Vorfeld gelungen ist, können wir auch den geeigneten dramaturgischen Rahmen wählen.

Und Action – oder, wie daraus ein „Format-Schuh“ wird

Damit hätten wir die wesentlichen Zutaten für eine konstruktive Streitkultur gelegt. Bleibt noch die Frage, wie gehen wir denn dann mit unserem Goldfisch-Problem vom Anfang um? Klar, es hilft schon einmal, unsere Formate drastisch zu reduzieren und auf eine Botschaft zu fokussieren. Jede unserer PowerPoint-Folien erzählt eine Geschichte, unsere Publikationen sind mehr Bild-Zeitung und PM als FAZ. Überhaupt kann es sehr sinnvoll sein, unsere Unternehmensthemen und -probleme in bekannten medialen Formaten zu inszenieren. Warum nicht das nächste Videoformat als Halbzeitkonferenz eines Change-Programms, oder das Vorstandsinterview als „Wer wird Millionär“ inszenieren? Mit Kulisse, Sound und Publikums-Joker. Das lässt sich digital wie auch in Kongresshalle und Konferenzraum umsetzen.

Vor allem für die digitale Welt brauchen wir dann die Interaktion: von Gruppenarbeit in Breakout Rooms bis zu Umfragen und Abstimmungen. Das ist heute Minimalstandard und das sind im Alltag sicher auch gute Tools. Nur reicht das, in der Welt von Twitter, Instagram, TikTok und Co.? Wenn Sie durchdringen wollen, Ihre Inhalte im Gedächtnis bleiben sollen, vermutlich nicht. Dann müssen Sie überraschen und aus der Erwartungshaltung der Alltagskultur ausbrechen. Auch der Perspektivwechsel kann helfen. Zum Beispiel durch den Schauspieler oder die Schauspielerin, der:die als Wissenschaftler:in auf der Bühne genau die kritischen Fragen an den Vorstand stellt, die sich sonst niemand zu stellen traut.

Um die Köpfe und Herzen zu erreichen, gibt es außerdem eine universelle Geheimzutat: Setzen Sie auf den Homo Ludens und vertrauen Sie auf den Spieltrieb.

Um die Köpfe und Herzen zu erreichen, gibt es außerdem eine universelle Geheimzutat: Setzen Sie auf den Homo Ludens und vertrauen Sie auf den Spieltrieb. Die Transformation in eine Geheimagent:innen-Geschichte umgewandelt; das Kernproblem als maßgebliche Basis für ein Online-Brettspiel in verschiedenen Teams; ein Escape Room, der sich mit seinen Aufgaben als reales Problem entpuppt. Der Clou dahinter: Die Inszenierung des echten Problems in einem anderen Genre macht es leichter und zugänglicher. Das kann der entscheidende Impuls sein, um aus dem Harmonie-Problem auszubrechen. Wer im Spiel gewinnen will, lernt zu kämpfen, zu streiten und sich im besten Sinne durchzusetzen.

Und wer das im Spiel gelernt hat, kann auch im Alltag den konstruktiven Streit viel besser für Fortschritt, Innovation und echte Problemlösung nutzen. 

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