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Ein Gespräch mit Resilienz-Expertin Jana Meißner

„Resilienz“: Was steckt hinter dem Wirtschaftswort des Jahres 2022?

„Resilienz“ ist das Wirtschaftswort des Jahres 2022, gewählt von einer Jury aus Unter­neh­mer:innen, Wirtschafts­jour­na­list:innen und ‑wissen­schaft­ler:innen sowie Verbands­ver­treter:innen, darunter Frank Thelen, Wolfgang Bosbach und Judith Williams. Ob „Quiet Quitting“, „Sondervermögen“, „Greenwashing“, „Doppel-Wumms“, „Zeitenwende“ oder „Resilienz“ – auf der Shortlist 2022 standen Begriffe, die nach einer Medienanalyse neu in den Wortschatz der Öffentlichkeit kamen und dort überproportional oft eingesetzt wurden. Aber was heißt „Resilienz“ eigentlich? Darüber haben wir mit der Juristin und geschäftsführenden Gesellschafterin der MEISSNER The Resilience Company GmbH aus Dortmund gesprochen. Ihre Beratung ist spezialisiert auf die ganzheitliche Management-Praxis Organisationale Resilienz und Jana Meißner ist zudem Herausgeberin des Print- und Online-Fachmagazins für Resilienz-Pioniere, dem 22316MAG®.

  • Jana Meißner
    MEISSNER The Resilience Company
  • Tobias Bruse
    komm.passion

Jana, was steckt hinter dem Begriff Resilienz im Wirtschaftskontext?

Resilienz im Wirtschaftskontext ist eine Management-Praxis. Ihr Ziel ist die wertschöpfende Langlebigkeit von Organisationen in hoch komplexen, dynamischen und unvorhersehbaren Umwelten. Diese Umwelten haben die Macht, Organisationen zu zerstören. Bei der „Organisationalen Resilienz“, so der Fachbegriff, geht es – kurz gesagt - um „Survive and Prosper“. Resiliente Organisationen sind krisenfester, besitzen die Fähigkeit, Schocks, Belastungen und Krisen aus eigener Kraft zu bewältigen und sie sind in der Lage, die in diesen Ereignissen verborgenen Wertschöpfungspotenziale zu heben.

 

„Survive and Prosper“ klingt nach einem Ziel, das Unternehmen seit jeher verfolgen. Was ist neu an der Idee der Resilienz?

Resilienz bedeutet, Disruption denken können. Komplexität, Dynamik, Abhängigkeit und Unvorhersehbarkeit stellen Organisationen vor nie da gewesene Herausforderungen – mit zunehmender Tendenz. Da „draußen“ – im stürmischen Meer mit Monsterwellen – zu überleben und zu gediehen, braucht Resilienz-Kompetenz. Diese Kompetenz kann Organisationen aufbauen. Resilienz ist eine ganzheitliche Management-Praxis.

Die Bedingungen der Organisationalen Resilienz

Wie sieht das konkret in Konzepten aus?

Es gibt (noch) kein einheitliches Konzept, um die Resilienz einer Organisation zu verbessern. Die ganzheitliche Management-Praxis ist hinsichtlich ihrer Ausgestaltung und wissenschaftlichen Betrachtung noch jung. Aber es gibt eine ISO-Normierung und etablierte Management-Systeme, die unmittelbar Resilienz fördernd sind. Die Organisationale Resilienz ist das Ergebnis des Zusammenspiels dieser bewährten Management-Systeme mit einer Resilienz förderlichen Organisationskultur zur Verfügung gestellten Ressourcen, sensorischen und analytischen Fähigkeiten, sozialen und mentalen Eigenschaften Einzelner, der Teams und mitunter auch der Unternehmerfamilien. Auch die konkreten Geschäftsmodelle, Markt- und Rahmenbedingungen spielen eine entscheidende Rolle. All diese Dimensionen müssen ein Resilienz-Konzept bearbeiten.  

 

An wen richtet sich das Resilienz-Management?

Das Resilienz-Management richtet sich an Organisationen. Dabei ist es egal, ob wir von Unternehmen, Verbänden, Vereinen, Behörden und Verwaltungen oder NGOs sprechen. Sie alle können gleichermaßen ihre Resilienz stärken und so langfristig ihre Zukunft sichern.

Es kommt nicht auf die Größe an

Wie groß sind Organisationen in der Regel, die einen Resilienz-Prozess starten?

Auf die Größe der Organisation kommt es nicht an. Einen Resilienz-Prozess starten insbesondere Organisationen, die entweder ein großes Risiko-Portfolio haben und/oder in der Vergangenheit kostenintensive und/oder reputationsschädigende Unternehmenskrisen bewältigen mussten. Sie wollen primär krisenfester werden, das heißt, sie wollen das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit existenzbedrohender Ereignisse signifikant reduzieren und starten mit dem Resilienz-Management den nächsten Schritt ihrer Entwicklung. Organisationen starten den Prozess daneben häufig auch, um künftige Krisenfälle aus eigener Kraft bewältigen zu können oder sie möchten ihre Fähigkeit verbessern, die in den Schocks und Belastungen liegenden Wertschöpfungspotenziale heben zu können.  

Unser Ziel ist es, dass die Organisationen ihren Prozess nach dieser Trainingszeit eigenständig vorantreiben und vor allem selbstwirksam weiterführen können.

Jana Meißner

Wie lange dauert ein Resilienz-Prozess?

Ein Resilienz-Prozess ist für die Organisationen selbst nie abgeschlossen. In der Regel begleiten wir unsere Kunden ein bis zwei Jahre lang auf ihrem Weg. Die Dauer ist abhängig von den bereits implementierten Management-Systemen. Wir befähigen die Menschen in den Organisationen, ihre organisationale Resilienz zu stärken. Wir thematisieren Rollen und Aufgaben, relevante Organisationsstrukturen, Methodiken, einzelne Management-Praktiken, aber auch Leitbild-Themen. Unser Ziel ist es, dass die Organisationen ihren Prozess nach dieser Trainingszeit eigenständig vorantreiben und vor allem selbstwirksam weiterführen können.

 

Ist Resilienz messbar?

Ja, klassische Kennzahlen stehen weiterhin in der GuV und der Bilanz, neue Kennzahlen kommen hinzu: Wie häufig gab es existenzbedrohende Ereignisse in der Vergangenheit und konnte die Zahl beeinflusst werden? Wie viele Projekte konnten initiiert werden, weil man die in den Herausforderungen liegenden Wertschöpfungspotenziale bewusst eruiert hat? Was gelang, was vorher nicht gelungen wäre?   

Eine Frage der Führung

Wer sollte für das Resilienz-Management in einer Organisation verantwortlich sein?

Unerlässlich ist ein:e Resilienz-Manager:in. Diese verantwortliche Person muss zuerst ein starkes Verständnis für Risiko- und Krisenmanagement mitbringen. Warum? Weil die Organisationale Resilienz bewährte Management-Systeme wie das Krisen-, Risiko-, Issues- und das Business Continuity-Management ebenso integriert wie Erkenntnisse aus der Psychologie und Organisationsforschung sowie Methodiken der kollaborativen, interdisziplinären Problemlösungs- und Entscheidungsfindung. Ein:e Resilienz-Manager:in muss für alle diese Themen offen sein und Lernbereitschaft zeigen. Die wichtigste Voraussetzung ist jedoch die Bereitschaft, Resilienz als Teil der Unternehmensstrategie zu begreifen, überhaupt in sie investieren und sie zur Angelegenheit des gesamten Unternehmens machen zu wollen. Hier ist die Geschäftsführung gefordert, die einen solchen Prozess unbedingt legitimieren muss. Resilienz ist kein Konzept „for show“.

 

Wer sollte Teil des Teams sein?

Das Resilienz-Management braucht ein interdisziplinäres Team. Wenn eine Organisation in der Gesamtheit einen solchen Prozess startet, sollten alle Abteilungen, Sparten und Divisionen im Boot sein. Organisationale Resilienz ist Angelegenheit des gesamten Unternehmens.

Warum Resilienz-Management nicht gleich krisenfest bedeutet

Kann ein Resilienz-Prozess auch ohne Vorwissen und Kompetenz im Bereich Krisen- und Risikomanagement angestoßen werden?

Ja, auch das ist möglich. Wenn allerdings kein Vorwissen und keine Erfahrung in Sachen Krisen- und Risikomanagement vorhanden ist, muss diese unbedingt aufgebaut werden. Die Kompetenz ist eine wichtige Grundlage für alles Weitere.

 

Ist der Prozess der Resilienz-Entwicklung für eine Organisation günstiger, als unvorbereitet in eine Krise zu geraten?

Es geht beim Resilienz-Management darum, das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit existenzbedrohender Krisen systematisch zu reduzieren, eigenständig Krisenmanagement betreiben zu können und Wertschöpfungspotenziale in diese Lagen heben zu können. Gerät eine Organisation in eine Krise, so sind die Kosten in der Regel extrem hoch und die Reputation oft nachhaltig geschädigt. Letztere wiederaufzubauen und das Vertrauen der Stakeholder zurückzugewinnen, ist ein langwieriger Prozess. Dagegen sind die Kosten für eine Resilienz-Entwicklung – um es mit dem früheren Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper zu sagen – „Peanuts“.

Es geht beim Resilienz-Management darum, das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit existenzbedrohender Krisen systematisch zu reduzieren, eigenständig Krisenmanagement betreiben zu können und Wertschöpfungspotenziale in diese Lagen heben zu können.

Jana Meißner

Scheitern resiliente Organisationen nie mehr?

Doch! Organisationen können trotz aller resilienzfördernden Maßnahmen in eine existenzbedrohliche Lage geraten. Denken wir zum Beispiel an Naturgewalten. Sie können einen massiven Impact auf Produktionsstandorte, Lieferketten und Märkte haben. Auch Unvorhergesehenes wird es immer geben – denken wir an Corona. Wer ein Resilienz-Management implementiert, lernt, mit diesen Lagen umzugehen und die darin liegenden Potenziale zu heben. Das kann der entscheidende Wettbewerbsvorteil sein.

 

Wie du weißt, beschäftigen wir uns sehr intensiv mit der Thematik Agilität. Auch dabei geht es um die Frage, wie Unternehmen möglichst schnell auf unerwartete Veränderungen reagieren können. Wie hängen Agilität und Resilienz zusammen?
Es gibt einige Autoren, die beschreiben Resilienz als Paarung von Agilitätsmanagement und Krisenmanagement. Und es stimmt, dass eine Förderung von Agilität in der Resilienz-Management-Praxis in Kombination mit Strukturen des Krisenmanagements eine starke Wirkung entfaltet.

Beispiele aus der Praxis

Gibt es lehrreiche Best-Practice-Beispiele von Unternehmen?

Die gibt es! Ein Beispiel ist die Otto Group, die als eines von wenigen deutschen Unternehmen sehr früh Organisationale Resilienz und insbesondere die Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor definiert hat. Intern wird der Prozess als „Kulturwandel 4.0“ bezeichnet und hat einiges auf den Kopf gestellt. Bei der Otto Group, die sich in einem starken Wettbewerb mit Zalando und Amazon befindet, spielt der zukunftsgerichtete Umgang mit Veränderung eine große Rolle. Es fand ein komplettes Umdenken im Unternehmen statt und auch der CEO zog mit. Alexander Birken sagte einmal: „Der Kulturwandel ist der Umsatz der Zukunft. Die Alternative ist die Insolvenz.“ Genau das meinte ich vorhin, als ich davon sprach, dass die Geschäftsführung im Resilienz-Management vorangehen muss. Ein weiteres Best Practice ist die Kultur Ruhr GmbH aus Bochum. Die renommierte Kulturorganisation entwickelte ein Leitbild, das für ihre Resilienz förderlich ist. Dafür haben sich die Verantwortlichen mit ihrer Vision, ihrer Mission und ihren Werten auseinandergesetzt. Der Fokus lag zudem auf der Veränderung von Organisationsstrukturen. 

 

Wir haben gelernt: Resilienz ist ein sehr umfassender Ansatz, der sich praktisch durch das gesamte Unternehmen zieht. Wie wichtig ist dementsprechend die Unternehmenskultur für die Organisationale Resilienz?

Die Unternehmenskultur ist das Fundament des Resilienz-Managements. Hier wird die Grundlage geschaffen, um eine Entwicklung hin zur resilienten Organisation überhaupt erst möglich zu machen. Damit das gelingt, braucht es ein Leitbild. Was ist die Vision der Organisation? Was die Mission? Und für welche Werte steht sie? An genau diesem Punkt fängt Organisationale Resilienz an.

 

Liebe Jana, danke dir sehr für das Gespräch.

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