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Wie alternativmedizinische Narrative die Gesundheit von Patient:innen gefährden

Das Zentrum der Gesundheits-Fake-News

Falschnachrichten zu Gesundheitsthemen nehmen im Internet seit Jahren massiv zu. Die Diskussionen um die Corona-Impfung haben das Thema Fake News verstärkt in die Medien gebracht und gesellschaftlich verschärft, doch Health Fakes selbst sind schon viel älter und das Feld entsprechend größer. Und es geht nicht nur um die Ablehnung einer evidenzbasierten Medizin. Aus dem Spiel mit der Angst haben Plattformbetreiber längst ein veritables Geschäftsmodell entwickelt.

Wer sich im Internet zu Gesundheitsthemen informieren will, muss bei den Quellen genau hinschauen. Eine aktuelle Studie[1] aus den USA zeigt anhand von Social-Media-Posts zu Krebserkrankungen, dass rund ein Drittel der Artikel klare Falschinformationen enthielt – von denen wiederum mehr als 75 % gesundheitsgefährdend für Patient:innen waren. Immer stärker tritt hier eine generelle Ablehnung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse auf, die das Bild einer gesundheitsgefährdenden Pharmaindustrie malt und dabei gleichzeitig auf dubiose bis gefährliche alternative „Heilmethoden“ setzt.

Wenn Betroffene und Angehörige auf Deutsch nach einer oft schwerwiegenden Diagnose Informationen zu Therapien suchen, stammen die ersten Treffer bei Google oft vom sogenannten „Zentrum der Gesundheit“. Zu Keywords wie „Krebs natürlich heilen,“ „Krebs fasten“ oder ganz allgemein „News Gesundheit“ liegt die Seite auf Platz 1 der beliebten Online-Suchmaschine Google. Dass dahinter ein gefährliches alternativmedizinisches Angebot mit angeschlossenem Webshop für Nahrungsergänzungsmittel steckt, übersehen viele User:innen auf den ersten Blick.

Die Seite, die sich selbst als „ganzheitliches Gesundheitsportal“ bezeichnet, macht aus Sicht der Suchmaschinenoptimierung vieles richtig, um über Google eine kostenlose organische Reichweite zu bekommen. Technisch ist die Plattform exzellent und gerade mit Blick auf die für Google wichtigsten Kriterien umgesetzt, inhaltlich setzt sie voll auf sogenannte Clickbaiting-Headlines, die sich rasant in Social Media verbreiten: „Zahlreiche Todesfälle nach Grippeimpfung“, „Autismus – die wahren Ursachen und natürliche Behandlungswege“ und „Antibiotika triggern Parkinson-Krankheit“ spielen gerade mit dem Wunsch vieler User:innen, Menschen im persönlichen Umfeld mit vermeintlich hilfreichen Informationen zu helfen.

Den eigenen Profit über evidenzbasierte Medizin stellen

Perfide an der Plattform ist, dass viele Artikel zentral auf eine fachärztliche Prüfung hinweisen. In der Tat gibt es im Team echte Mediziner:innen mit naturheilkundlicher Spezialisierung, die den grenzwertigen Artikeln durch ihren Berufsstand Autorität verleihen. Ganz klar positionieren sich die Autor:innen dabei immer wieder gegen die „Schulmedizin“ und deuten übergroß auf „Tödliche Nebenwirkungen von Medikamenten“.

Der prominent auf Google gelistete Artikel „Wie Heilfasten Krebs bekämpft“ wirft die irreführende Frage auf, ob Patient:innen eher an ihrer Krebserkrankung oder an Therapienebenwirkungen sterben. Heilfasten wird dagegen von der Autorin als wichtiger Baustein der Krebstherapie gepriesen. Nach Vorstellung einiger positiver Studien und gleichzeitigem Ignorieren der Empfehlungen fast aller Ernährungswissenschaftler kommt sie zu dem eindeutigen Ergebnis: „Heilfasten zerstört Krebszellen“. Wissenschaftlich anerkannt ist dagegen das Gegenteil von dem, was hier im Artikel gesagt wird.

Der Sinn hinter der Abkehr von der Schulmedizin wird sehr schnell deutlich, denn die meisten Artikel sind überdeutlich mit dem auf der Seite fest integrierten Webshop verbunden. Der Artikel zum Heilfasten gibt ganz konkrete Tipps für die Ernährung an Fastentagen – inklusive Links auf den Shop, wo die Zutaten nur einen Klick entfernt sind. Im „Fallbericht: Krebs mit kolloidalem Silber besiegt“ ist neben der angeblichen Wunderheilung das besagte Produkt direkt in den Artikel integriert. Das Feindbild zu einer mutmaßlich nur auf Profite bedachten Pharmaindustrie wird nur aufgebaut, um wirkungslose bis gefährliche Produkte an sterbenskranke Menschen zu verkaufen

Kostenloser Google-Traffic für über 30 Millionen Euro

Der Erfolg der Plattform basiert auf einer riesigen Sichtbarkeit zu Gesundheitsthemen bei Google. Das Zentrum der Gesundheit hat beim Analysetool Sistrix einen Sichtbarkeitsindex von über 40 – und liegt damit über vielen etablierten Medien. Sistrix schätzt, dass Monat für Monat über 4 Millionen User:innen über die organische Suche auf die Seite kommen, ohne dass die Betreiber dafür auch nur einen Cent an die Suchmaschine überweisen müssen. Durch geschickte Suchmaschinenoptimierung spart das Unternehmen hinter der Plattform damit pro Jahr geschätzt mehr als 30 Millionen Euro, die investiert werden müssten, um den gleichen Traffic über Anzeigen bei Google zu generieren.

Hinter der Plattform mit deutscher Domain steckt übrigens kein hier ansässiges Unternehmen, sondern die Neosmart Consulting AG im Schweizerischen Luzern. Neben der Website mit angeschlossenem Shop für alternative Gesundheitsprodukte gibt sie mit Foodscout auch noch ein unscheinbar daherkommendes vegetarisches Hochglanz-Magazin heraus. Die Grenzen zwischen gesundem Lifestyle und ungesunder verschwörungsideologischer Wissenschaftsleugnung sind fließend.

Fake-News-Anhänger aus dem liberal-bürgerlichen Milieu

Gehen wir zurück zu den Hardcore-Wissenschaftsleugnern: Wer sind denn die Anhänger von Fake News, die im Internet für so viel Aufmerksamkeit sorgen? Zunächst einmal: Die Gruppe ist viel kleiner, als sie sich selbst darstellt. Aber sie ist lauter und sucht stärker die Öffentlichkeit als die Mehrheit. Für die Impfverweigerer in der Corona-Pandemie hat komm.passion mit dem eigenen Social-Media-Analyse-Tool PAS einen Überblick erstellt und herausgefunden: Impfgegner sind in allen Milieus vertreten. Allerdings sticht eines besonders hervor. Unter den Impfgegnern gehören 31 % dem liberal-intellektuellen Milieu an. Vergleichsweise liegen die Werte im traditionellen Arbeitermilieu, bei den Aufstiegsorientierten und den modernen Arbeitnehmern unter oder gerade mal knapp über 5%. Diese Gruppen scheinen immun gegen das Thema „Impfgegnertum“ zu sein.

Ein möglicher Grund für den hohen Anteil an Impfgegnern aus diesem Milieu liegt vielleicht darin, dass sich die dieser Gruppe zugehörigen Menschen grundsätzlich erst einmal als kritisch betrachten – bei gleichzeitigem Elitebewusstsein. Wenn es dann aber darum geht, ein auch nur „vermeintliches” Risiko im Sinne der Gesellschaft selbst eingehen zu sollen, dann überwiegt bei vielen der Wunsch nach der eigenen gefühlt maximalen Sicherheit. Freiheit ist hier vor allem die Wahlfreiheit für einen selbst – und die Gemeinschaft folgt in der zweiten Reihe.

Der Urmythos: Impfungen verursachen Autismus

Gerade dieser Egoismus und die Ablehnung der Mitwirkung an einer Herdenimmunität gehört zu den Urmythen der Impfgegner. Das bekannteste Beispiel feiert nächstes Jahr schon den 25. Geburtstag und erfreut sich in entsprechenden Milieus immer noch großer Beliebtheit – auch wenn es längst als Betrug enttarnt wurde. 1998 schaffte es der mittlerweile mit einem Berufsverbot belegte britische Arzt Andrew Wakefield, einen Artikel in der renommierten Zeitschrift The Lancet zu veröffentlichen, die einen klaren Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln mit dem Auftreten von Autismus herstellte.

Die Studie konnte nie reproduziert werden – sie basierte auf gefälschten Forschungsergebnissen und wurde schließlich vom Magazin zurückgezogen. Doch auch wenn der Fall hier völlig klar scheint, hält sich der Autismusvorwurf bis heute und taucht ganz regelmäßig im Zusammenhang mit anderen Impfungen wieder auf. Vorbehalte gegenüber Vakzinen haben viel mit Emotionen und wenig mit rationalen Argumenten zu tun.

In diesem Feld mischt auch das Zentrum der Gesundheit stark mit. Der Artikel „Spanische Grippe – eine Jahrhundertlüge“ kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Die Spanische Grippe wurde durch Massenimpfungen verursacht.“ Nicht eine ungewöhnlich virulente Mutation der Influenza sei die Ursache gewesen, sondern sie sei in Wahrheit ein „globales Impf-Desaster“. Mitten in einer Pandemie, in der das Impfen einen entscheidenden Vorteil für einen milderen Verlauf bedeutet, wird die Angst vor Impfungen mit einer Umdeutung der bekanntesten Pandemie geschürt.

Dass das verschwörungsideologischer Quatsch ist, hat beispielsweise das Team von CORRECTIV in einem hervorragend recherchierten Bericht belegt. Das Problem: Der nachweislich falsche Text rangiert zum Keyword „Spanische Grippe“ auf Platz 5, während es der Faktencheck von CORRECTIV nicht mal in die Top 100 schafft. Das ist nicht weniger als Geschichts- und Wissenschaftsfälschung durch irregeführte Google-Algorithmen.

Menschen am Rande des Kaninchenbaus

Bleibt die Frage: Wie können wir Menschen davor bewahren, auf Gesundheits-Fake-News hereinzufallen? Fest steht: Wer einmal glaubt, die Impfungen gegen COVID und andere Krankheiten seien Werkzeuge von Bill Gates und George Soros, um die Menschheit fremdzusteuern, ist für rationale Argumente in den meisten Fällen verloren.

Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir uns auf die Menschen konzentrieren, die mehr oder weniger nachvollziehbare Ängste haben, aber grundsätzlich noch an eine evidenzbasierte Medizin und echte Empfehlungen von Ärzt:innen glauben. Während es am Anfang der Pandemie noch sinnvoll war, mit großen Kampagnen schnell eine große Reichweite aufzubauen, sollten wir jetzt deutlich differenzierter vorgehen. So wie wir im Privaten ein gutes Gefühl haben, mit wem es sich zu sprechen lohnt, so müssen wir auch Kampagnen gestalten: Uns auf die unterschiedlichen Zielgruppen einstellen und keine One-Fits-All-Kampagnen starten, sondern mit der Marktforschung konkrete Personas erarbeiten und auf deren Fragestellungen antworten. Mit individuellen Targetingstrategien können wir diese Zielgruppen ganz konkret ansprechen – und nicht die, die für rationale Argumente schon verloren sind.

Das Zentrum der Gesundheit ist nur die Spitze des Eisbergs der Gesundheits-Fakes und von den deutschen alternativmedizinischen Angeboten am besten bei Google gerankt. Es steht für eine bewusste Abkehr von einer evidenzbasierten Medizin hin zu einem ertragsstarken „Zentrum der Gesundheits-Fake-News“. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe von Plattformen und Social-Media-Fakes, die sich unabhängig von Anbietern in Windeseile im Netz verbreiten. Plattformen wie Medwatch helfen, Fakes zu erkennen. Der Science-Cops-Podcasts des WDR-Formats Quarks überprüft sehr unterhaltsam die wissenschaftliche Basis von Trends insbesondere im Gesundheitsbereich, um „wissenschaftlichen Unfug“ aufzudecken, und hat eine hervorragend recherchierte Folge zum Zentrum der Gesundheit produziert.

Gleichzeitig kommt der Wissenschaftskommunikation der Unternehmen eine wichtige Bedeutung zu. Diese unterliegt zurecht einer sehr strengen Reglementierung wie dem Heilmittelwerbegesetz und stellt in der Regel an sich selbst noch höhere Ansprüche. So hat der Deutsche Rat für Public Relations zuletzt eine eigene Richtlinie zur Wissenschafts-PR erarbeitet, um pragmatisch den deutschen Kommunikationsindex im Themenfeld Wissenschaftskommunikation zu konkretisieren.

Doch was kann man wirklich tun, wenn unseriöse Internetseiten Google dominieren? Um ehrlich zu sein: Nicht viel. Der Ruf nach Sperrungen ist problematisch, denn zu schnell sollten Inhalte in einer freien Gesellschaft nicht zensiert werden. Es geht vielmehr darum, dass die medienpädagogische Kompetenz geschult wird, damit Menschen lernen, Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. Denn wenn Nachrichten zu skurril oder zu gut klingen, um wahr zu sein – dann sind sie es meist auch.


[1] Johnson SB et.al.: „Cancer Misinformation and Harmful Information on Facebook and Other Social Media: A Brief Report.“ In: Journal of the National Cancer Institute. 2022 Jul 11; 114(7): 1036-1039.

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