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Kommunikationswissenschaftliche Untersuchung der Impfdebatte in Deutschland

Gleicher als man denkt?

Das Thema Impfen hat Deutschland weiter fest im Griff. Die Debatte um die Corona-Impfung ist nahezu dauerpräsent. Vorurteile und Vorwürfe drohen die Gesellschaft zu spalten. Es wird viel diskutiert. Aber keiner weiß so wirklich über was und wie. Oder wer mit wem spricht. Natürlich: Jeder hat ein typisches Bild von Impfkritiker:innen und Impfbefürworter:innen vor Augen. Aber de facto hat noch niemand die Debatte aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Wenn doch, dann geht es meist sehr speziell um Impfgegner:innen oder ganz bestimmte Gruppen. Der Blick auf das große Ganze fehlt.

Wir haben uns dieser Blackbox angenommen und anhand einer wissenschaftlichen Untersuchung von Social Media Diskursen die unterschiedlichen Meinungen analysiert. Dabei haben wir festgestellt: Impfgegner:innen und Impfbefürworter:innen haben mehr gemeinsam als man denken könnte.

Eine omnipräsente Debatte

Langsam aber sicher können wir das C-Wort nicht mehr hören. Die Pandemie hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt – und jede:n Einzelne:n persönlich auf die Probe. Die Impfung schien 2020 lange der Retter in der Not. Anfang 2022 sehen wir aber: Die Impfung ist zwar da, aber das C-Wort ist weiterhin omnipräsent. Die Impfung wurde dabei vom Retter zum Zündfeuer, das unsere Gesellschaft spaltet. Auf Social Media brennen die Fackeln seit Monaten lichterloh. Und traurigerweise brannten sie sogar schon in der echten Welt.

Impfgegner:innen stehen Impfbefürworter:innen gegenüber. Dazwischen gibt es eine Gruppe von vermeintlich „Unentschlossenen“. Gemeinsamer Diskurs auf Augenhöhe? Fehlanzeige.

Deshalb taucht komm.passion jetzt kommunikationswissenschaftlich tiefer in die Debatte rund um die Corona-Impfung ein. Und fokussiert dabei alle drei Gruppen: Pro, Kontra und Unentschlossen. Basis dafür ist eine Social Media Analyse, die aus dem komm.passion Analyse-Tool PAS sowie einer empirischen Inhaltsanalyse hunderter Social Media Postings besteht. Es ist die erste empirische Analyse dieser Art, die gleichzeitig von unserer Mitarbeiterin Johanna Kuhfeldt als Master-Thesis abgegeben wird. Wir fassen in diesem Dossier die wesentlichen Erkenntnisse zusammen.

Bringt uns die Booster-Impfung back to normality?

Das wissen wir leider nicht – hoffen es aber schwer. Ende des Jahres 2021 (Stand 21.12.2021) sind mehr als 70 % der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, eine Auffrischungsimpfung haben bereits 33,8 % (28,1 Mio. Menschen) erhalten (Quelle: https://impfdashboard.de/). Die Impfquote wächst stetig – doch Omikron stellt uns vor neue, ungeahnte Herausforderungen. Weiterhin sind rund 30 % der Bevölkerung nicht von der Impfung überzeugt. Doch welche Argumente finden sich auf der einen oder der anderen Seite? Wie verhalten sich die Menschen beim Thema Impfung im (digitalen) Diskurs? Wer führt die Debatte an? Welche Sub-Themen bestimmen die Diskussion? Und vor allem: Wer sind eigentlich die Menschen auf der einen bzw. der anderen Seite?

Wo finden wir Impfbefürworter:innen, Impfgegner:innen oder Unentschlossene?

Anhand des Social Media Analyse Tools PAS (Pragmatic Analysis Services) können wir die SIGMA-Milieus® der Gruppen Pro-Impfen, Kontra-Impfen und Unentschlossen identifizieren. Als Erklärung sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung sich kaum exponiert mit dem Thema befasst, öffentlich für die Impfung wirbt oder dagegen ausspricht. Bei dieser Analyse geht es also um die „Wortführer:innen“ innerhalb der Gruppierungen. Paradoxerweise sind die Lebenswelten derer, die sich am stärksten zum Thema äußern und somit den digitalen Diskurs anführen, auf den ersten Blick nahezu identisch, egal ob Pro-Impfung, Contra-Impfung oder Unentschlossen. Sie befinden sich vor allem im liberal-intellektuellen Milieu, leben damit verantwortungsbewusst, politisch und ökologisch korrekt und setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Gleichzeitig ist ein Großteil der Menschen aller Gruppen im modernen bürgerlichen Milieu vertreten, wo sich die Mitte der Gesellschaft trifft, die nach Harmonie, Ausgeglichenheit, Sicherheit und sozialen Beziehungen strebt – also als bodenständig und familiär gilt. Bei den Gruppen Pro-Impfen und Unentschlossen hat darüber hinaus auch das moderne Arbeitnehmermilieu seinen Anteil, wo Themen wie Work-Live-Balance, soziale Kontakte und individueller Konsum bei meist jungen Fachleuten hoch im Kurs stehen. Bei den Impfgegner:innen fällt dem hedonistischen Milieu zusätzlich ein großer Anteil zu, welches durch Unkonventionalität, das Zurückweisen von Normen und das Bedürfnis und den Drang, das Leben nach eigenen Maßstäben zu genießen, auffällt.

Stereotypen wie sie im Buche stehen?

Impfbefürworter:innen vertrauen derweil bei ihren Informationen auf Institutionen des Bundes und etablierte Medien, haben breite Interessensgebiete im Unterhaltungssektor, achten auf ihre Gesundheit und leisten sich gelegentlichen nette Dinge. Wie schon die Milieuanalyse ergab, finden wir hier vor allem Individuen, welche auf Wissenschaft, Politik und Gemeinschaft vertrauen – und gleichzeitig daran interessiert sind, Dinge kritisch zu hinterfragen und für ihre Meinung einzustehen.

Auch Impfgegner:innen zeigen Interesse an (Welt)Politik und etablierten Medien auf – jedoch nahezu ausschließlich aus einer kritischen und ablehnenden Haltung heraus. Dafür herrscht ein (beunruhigend) großes Interesse an russischen Nachrichtenseiten und konservativer bzw. rechts-orientierter Politik, wie von der AfD und deren Politiker:innen. Hinzu kommen ökologisch, soziale und tierfreundliche Interessen.

Bei den Unentschlossenen werden im Hinblick auf klare Stereotypisierung alle Rahmen gesprengt: Von rechts- bis zu linkspolitischer Einstellung oder ökologische und vegetarisch/vegane Ernährung bis hin zu Naturheilkunde und Esoterik ist hier alles mit dabei.

Wortführerschaft in der Impfdebatte auf Facebook

Gibt es denn sowas? Ja! Impfgegner:innen sind weniger – aber dafür umso lauter. Und vor allem wesentlich aktiver. Innerhalb der Contra-Impfen-Bubble herrscht ein allgemeiner Konsens. Hierhin verirrt sich kaum jemand, der nicht dieselben Ansichten teilt. Die Gruppe der Impfgegner:innen bleibt digital weitestgehend unter sich und bestärkt sich somit gegenseitig in ihren Ansichten. Ganz anders sieht das in Bubbles aus, die in der Regel eher von Impfbefürworter:innen genutzt werden – zum Beispiel die Facebook-Seite des Spiegels. 64 % aller Kommentare der untersuchten Facebook-Beiträge können als negativ bzgl. des Inhalts und/oder des:der Verfassers:in identifiziert werden. Impfgegner:innen brechen ganz aktiv aus ihrer jeweiligen Bubble aus und tauchen in andere ein. Sie treiben damit die Debatte voran und wollen ihre eigenen Ansichten verbreiten. Von Impfbefürworter:innen wird das belächelt, von Unentschlossenen kritisch zur Kenntnis genommen.

Bei Impfgegner:innen ist in den Tendenzen gar eine Art Missionierungsdrang erkennbar, sie wollen die anderen aufklären und ihnen „ihre Wahrheit“ vermitteln. Dazu sind sie im digitalen Diskurs deutlich aktiver, lauter und emotionaler in ihrer Sprache – verweisen gleichzeitig häufig auf Quellen, auch wenn diese oft wenig seriös sind.

Geimpfte vs. Ungeimpfte

Stellen das Top-Thema in allen drei Gruppen dar und sind damit in rund einem Drittel aller analysierten Postings vertreten. Kein Wunder, wenn man die offensichtliche Klassifizierung bedenkt. Ein Blick in die Inhalte zeigt, dass darüber hinaus bei allen die Themen „Stigmatisierung Ungeimpfter“, „Kosten Corona-Tests“, Kritik bzgl. einer „Impfplicht“ und weitaus sensibler „Kinderimpfung“ und „Tod nach Impfung“ sehr präsent sind. In der Gesamtdebatte wird zum einen kritisiert, dass wir eine Spaltung und Diskriminierung nicht hinnehmen dürfen und gleichzeitig ist der Wunsch danach laut, für Geimpfte und Genesene endlich wieder eine Normalität einzuführen – welche den Ungeimpften nicht zustehen solle.

Als Gemeinsamkeit kann hier jedoch weiterhin das Thema der allgemeinen Impfpflicht hervorgehoben werden, welche von allen Seiten kritisiert wird. Ebenso spiegeln sich die Ängste der Individuen wider: Angst um ihre Kinder und Angst vor dem Tod. All diese Themen werden von Impfgegner:innen im digitalen Diskurs stärker getrieben als von Impfbefürworter:innen.

Was wir daraus lernen können?

Wenn die Gruppen aufeinander treffen gibt es kaum jemanden, der in dieser Diskussion von seiner gefestigten Meinung abrückt. Am Ende bleibt ein konstruktiver Dialog in den meisten Fällen aus. Einer verstummt. Während der Graben zwischen „Impffans“ und „Impfgegner:innen“ inzwischen wohl unüberbrückbar groß ist, sollte vor allem die noch immer bestehende Gruppe der „Unentschlossenen“ im Zentrum der kommunikativen Strategie der Politik stehen. Unsicherheit ist menschlich und kritisches Hinterfragen mehr als richtig. Jedoch dürfen wissenschaftlich fundierte Argumente nicht von unqualifizierten Meinungsbildner:innen in ihrer Wertigkeit gemindert werden – sondern müssen mit Vehemenz verteidigt werden. Unser Appell: Diskussionen nicht aus Bequemlichkeit ausklingen lassen, sondern konstruktiv weiterführen. Die Bedenken ernst nehmen, genau hinschauen und verstehen – um dann die richtigen (sachlichen und emotionalen) Argumente vorzubringen. Wenn wir den Fehler machen, Unentschlossene als Impfgegner:innen einzustufen, laufen wir Gefahr, dass sie genau das werden.

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