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Interne Kommunikation während und „nach“ der Pandemie

Corona als Digitalisierungstreiber?

Viele Experten und Expertinnen postulierten: Corona wird in Deutschland für einen enormen Digitalisierungsschub sorgen. Mit weitreichenden Folgen für die interne Kommunikation. Doch wie hat sich die interne Kommunikation mit und nach Corona in der Praxis wirklich entwickelt?

In einer gemeinsamen Studie sind Studierende der Hochschule Macromedia unter Leitung von Prof. Dr. Holger Sievert und komm.passion dieser Frage nachgegangen. Neben allgemeinen Fragen zum Status Quo der internen Kommunikation haben 401 Probanden Fragen zur digitalen Meetingkultur, Social Collaboration Tools und zur Change Kommunikation beantwortet.

Die Ergebnisse zeigen: Die Digitalisierung bleibt oberflächlich. In vielen Fällen wurden analoge Prozesse nur digital abgebildet.

Dieses und weitere Ergebnisse diskutieren Prof. Dr. Holger Sievert und Prof. Dr. Alexander Güttler.

Prof. Dr. Holger Sievert ist Studienrichtungskoordinator des Lehrgebiets PR und Kommunikationsmanagement und lehrt dieses am Campus Köln der Hochschule Macromedia. Als Aus- und Weiterbildungsexperte für die Kommunikationsbranche hat Holger Sievert zahlreiche entsprechende Programme im In- und Ausland mitaufgebaut und geleitet. Unter anderem hat er an der Gründung des ersten Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an einer Schweizer Wirtschaftshochschule mitgewirkt sowie am Aufbau des ersten MBA für Kommunikation und Führung an einer süddeutschen Elite-Universität.

Parallel berät er freiberuflich namhafte Unternehmen und Organisationen zu Kommunikationsthemen.

Digitalisierung = Videokonferenzisierung

Hallo Holger, Hallo Alex,

erstmal herzlichen Dank, dass ihr euch heute die Zeit nehmt für diesen Diskurs zum Thema: Wie hat sich die interne Kommunikation mit und nach Corona verändert? Dieser Frage sind wir im Rahmen einer Studie zur Nutzung interner sozialer Medien in Kooperation mit der Hochschule Macromedia nachgegangen.

Holger, du führst diese Studie jetzt zum 4. Mal durch. Gibt es etwas, dass dich dieses Jahr besonders überrascht hat?

 

Holger Sievert: In den letzten beiden Jahren war medial und auch in zahlreichen Studien immer wieder von einem „echten Digitalisierungsschub“ auf Grund der Corona-Pandemie für die deutsche Wirtschaft zu lesen. Vor diesem Hintergrund hatten wir bei der Studie eigentlich mit einem deutlich höheren Zuwachs bei der Bedeutung interner sozialen Medien in deutschen Unternehmen zwischen 2019 und 2022 gerechnet. Es gab hier aber nur vergleichbar kleine Entwicklungen, absolut jeweils um die fünf Prozent. Zugespitzt ließe sich formulieren: Offenbar hat es auf Grund von Corona keine echte weitere Digitalisierung deutscher Unternehmen gegeben, sondern vor allem eine „Videokonferenzisierung“ nicht selten strukturell noch analoger Prozesse.

In den offenen Antworten unserer aktuellen Studie finden wir sogar Beschreibung von Unternehmen, die vor Corona geplante, im größeren Stil angelegte interne große Digitalisierungsprozesse sogar temporär auf Eis gelegt hatten, um ihre Mitarbeiter:innen nicht zu überfordern. Erst jetzt legen sie langsam wieder los und nach – sofern die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingen entsprechende Investitionen zulassen und das dafür benötige Fachpersonal gewonnen werden kann.

Bei der Digitalisierung geht es allerdings nicht einfach darum, schlechte analoge Prozesse digital abzubilden.

Prof. Dr. Alexander Güttler

Alexander Güttler: Da bin ich ganz bei Holger. Oberflächlich hat sich viel verändert. Wer sitzt nicht heute in endlosen Zoom- oder Teams-Konferenzen, gerne auch im Homeoffice. Bei der Digitalisierung geht es allerdings nicht einfach darum, schlechte analoge Prozesse digital abzubilden. Das wäre eine vertane Chance. Es geht darum, wirklich digitale und damit effizientere Prozesse zu schaffen. Und ich glaube, genau das hat oft noch nicht stattgefunden.

Videokonferenzen? Qualität = Mangelware

Das kennen wir in der Tat alle. Ich merke es an meinem Kalender: Videokonferenz über Videokonferenz über Videokonferenz. So wie ich das sehe, hat während Corona die Videokonferenz in vielen Teilen den Flurfunk – das informelle – ersetzt. Aus Sicht der Unternehmenskommunikation bzw. des Managements hat sich der Gedanke manifestiert: Videokonferenz = Mitarbeiterbeteiligung. Könnt ihr diese Einschätzung teilen?

 

Alexander Güttler: Also ich bin großer Feind der aktuellen Meeting-Kultur. Die Termine sind schlecht vorbereitet, haben keine Agenda und viel Zeit wird darauf verschwendet eine gemeinsame Basis, einen gemeinsamen Wissensstand herzustellen. Also höchst ineffizient. Außerdem sind die meisten Meetings maßlos überfrachtet. Das gilt für den Teilnehmer:innenkreis als auch Länge solcher Termine. Deshalb glaube ich kaum, dass so echte Beteiliung der Mitarbeitenden funktioniert.

Viele Teilnehmer:innen haben die Kamera aus, beteiligen sich nicht und hantieren parallel wahrscheinlich mehr mit dem Handy, als dass sie dem Meeting folgen.

Jedoch muss man ganz klar sagen: Virtuelle Meetings mit klarer Agenda, dem richtigen Teilnehmer:innenkreis und einer guten Länge sind extrem kosten- und zeitsparend. Ich glaube nur, dass Meetings noch nicht überall so laufen. Von daher: Es bleibt Luft nach oben.

Echter, persönlicher Austausch zwischen Menschen – zumindest gelegentlich – ist für kein Team der Welt durch rein virtuellen auf Dauer zu ersetzen.

Prof. Dr. Holger Sievert

Holger Sievert: Da kann ich Alex nur komplett zustimmen. Allerdings erleben wir gerade bei uns an der Hochschule, auch mit Studierenden, ebenfalls, dass das gut gemacht durchaus funktionieren kann – oder sogar Studierende immer stärker, hybride Lehre einfordern, wenn sie einmal nicht vor Ort sein können. Mit Kunden in meiner freiberuflichen Workshop- und Beratungstätigkeit ergeht es mir ähnlich. Aber das ist halt auch ein zweischneidiges Schwert. Echter, persönlicher Austausch zwischen Menschen – zumindest gelegentlich – ist für kein Team der Welt durch rein virtuellen auf Dauer zu ersetzen.

Change braucht qualitative Partizipation. Egal, ob digital oder analog.

Mit der Studie haben wir außerdem das Thema „Change“ betrachtet. Wie können interne soziale Medien Change Prozesse unterstützen? Für mich persönlich ein besonders spannendes Themenfeld, welches ich gemeinsam mit dir Holger im Rahmen meiner Masterarbeit bearbeiten durfte. Ich bin damals zu der Conclusio gekommen: Es ist nicht die Lösung. Aber besonders partizipative Tools machen Change-Prozesse erfolgreicher. Wie blickt ihr auf das Thema?

 

Alexander Güttler: Meiner Meinung nach sind diese Tools Mittel zum Zweck. Ich glaube unstrittig ist, dass digitale Tools Partizipation erleichtern können. Beispielsweise kann ein großer Kreis schneller, einfacher angesprochen und eingebunden werden. Aber zur Not kriege ich Partizipation mit einer Kreidetafel hin. Was aus meiner Sicht kriegsentscheiden ist: Was resultiert aus dieser Partizipation? Gaukle ich eine Art Scheinbeteiligung vor oder ist mir wirklich etwas daran gelegen Anregungen, Meinungen, Ideen zu hören und dann auch umzusetzen? Der Erfolg steht und fällt aus meiner Sicht mit der Entscheidung, ob ich an den Meinungen interessiert bin und überzeugt bin, davon etwas umzusetzen. Ich glaube genau hier entscheidet es sich und nicht anhand der Tools.

 

Holger Sievert: Change-Prozesse lassen sich ganz klassisch ja in die drei Schritte „Unfreeze“, „Change“ und „Refreeze“ unterteilen – auch wenn man dieses Modell vor dem Hintergrund der zunehmenden Institutionalisierung des Wandels als Dauerprozess sicher diskutieren kann. Unsere aktuellen Studienergebnisse zeigen deutlich, dass gerade im mittleren Bereich, also der eigentlichen operativen Veränderungen, interne soziale Medien einen großen positiven Beitrag leisten können. Wichtig ist dabei allerdings eine angemessene Partizipation der Mitarbeitenden, die über die neunjährige Phase unserer Erhebungen immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Nur wenn man das berücksichtigt, kann man mit solchen Tools erfolgreich sein.

Die Zukunft der internen Kommunikation?

Vielen Dank für das Gespräch. Abschließend möchte ich euch noch um einen kleinen Ausblick bitten. Was glaubt ihr, wie es mit der Digitalisierung der internen Kommunikation weitergeht? Sozusagen der Blick in die Glaskugel.

 

Holger Sievert: Eine echte Digitalisierung der internen Kommunikation vieler deutscher Unternehmen wird nur dann erfolgreich funktionieren, wenn zeitgleich ein grundlegender Kulturwandel stattfindet. Offene digitale Kommunikation und darauf basierende Social Collaboration machen nur in Organisationen Sinn, die sich von zu viel Hierarchie verabschieden und beispielsweise auf echte Agilität setzen. Ein Ansatz dabei ist etwa das Konzept einer „Vertrauenskommunikation“, welches ich bereits vor einigen Jahren gemeinsam mit Horst Pütz vorgelegt und in einigen Fällen auch bei entsprechenden Organisationen implementieren durfte. Digitalisierung ist zuallererst keine technische Veränderung, sondern eine fundamental kulturelle.

 

Alexander Güttler: Ich glaube, die Digitalisierung wird weiter voranschreiten. Wir sehen ja: Es gibt noch enormes Verbesserungspotenzial. Und genau das müssen aus meiner Sicht die nächsten Schritte sein. Aus meiner Sicht sehr wichtige Faktoren sind die Themen Loyalität und Mitarbeiter:innen-Bindung, denn genau die lassen sich nach meiner Einschätzung bislang nicht in der digitalen Welt reproduzieren.

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