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komm.passion-Dossier 5/2017

Social Media: Die Mär vom Dialog

Dialog ist alles. Oder? Mit dem explosiven Erfolg von Online-Netzwerken überschlug sich die Kommunikationsbranche mit gewagten Prognosen. Vom neuen Zeitalter des Dialogs war die Rede. Von Partizipation und Kundengesprächen auf Augenhöhe. Aber wird dieser Anspruch heute wirklich gelebt? Ist es überhaupt sinnvoll, alle Schalter auf Dialog zu stellen? komm.passion hat nachgehakt und in einer explorativen Studie die Sprache professioneller Facebook-Seiten untersucht. Das Ergebnis dieser – zugegeben subjektiven – Auswahl: Wenn überhaupt, spielt Dialog eine Nebenrolle. Aber das muss kein Defizit sein.

Wenig erforscht

Social Media haben die digitale Welt verändert. Sie ist schneller, interaktiver und mobiler als je zuvor. Allein Facebook hat in Deutschland 30 Millionen aktive Nutzer. Drei Viertel loggen sich jeden Tag ein. Sie veröffentlichen, teilen und kommentieren Inhalte, äußern sich zu relevanten wie banalen Themen. Die professionelle Kommunikation muss Schritt halten: Sie beobachtet und macht sich sichtbar, sie agiert und reagiert.

Die wissenschaftliche Forschung zur Unternehmenskommunikation im Social Web steht noch am Anfang. Vor allem die sprachlichen Aspekte sind bislang kaum beleuchtet. Deshalb haben komm.passion-CEO Prof. Dr. Alexander Güttler und Andreas Brüser, Berater bei komm.passion und Doktorand an der Universität Münster, gefragt: Was macht professionelles Sprechen im Social Web aus? Und: Steht der offene Austausch mit Usern wirklich an erster Stelle? Die komplette Studie erscheint im Springer-Handbuch „Sprache in den Public Relations“, herausgegeben von Cathrin Christoph und Annika Schach.

Impuls statt Dialog

„Branchen-Websites und Praxis-Ratgeber sprechen oft vom ‚König Dialog‘“, sagt Andreas Brüser. „Das wollten wir mit unserer Forschung hinterfragen und an der Realität prüfen.“ Dazu hat komm.passion exemplarisch die Facebook-Auftritte von EDEKA, Volkswagen und Amazon analysiert. Mit einem klaren Ergebnis: „Die Seiten funktionieren nicht als Dialogplattformen, sondern als Impulsstrecken, die immer wieder Anlass zur Beschäftigung mit dem Unternehmen, den Produkten und Angeboten bieten“, sagt Alexander Güttler. „Vom oft geforderten Primat der Pull-Kommunikation kann hier nicht die Rede sein.“

Die Studie analysiert die Sprache von 238 Facebook-Posts aus dem vierten Quartal 2016 (Volkswagen: 103, Amazon: 66, EDEKA: 68). Als Vergleichsfolie dienen 197 Pressemitteilungen der Unternehmen aus demselben Zeitraum (Volkswagen: 62, Amazon: 71, EDEKA: 64). Im Fokus stehen unter anderem die Textthemen- und Nachrichtenwertanalyse sowie die Frage nach der Textstilistik.

Produkte und Marketing-Themen

Bei der Themenwahl gibt es klare Schwerpunkte und Unterschiede zwischen der Facebook- und Pressekommunikation. In einem von zwei Volkswagen-Posts geht es um Produktthemen wie etwa technische Eigenschaften oder andere Kaufaspekte. Amazon bewirbt in drei von vier Posts Handelsangebote und Marketingaktionen. Auch EDEKA legt den Fokus auf Marketing-Themen, wobei Dialog und Kontakt hier eine etwas größere Rolle spielen.

Bei den Pressetexten rücken News zum Unternehmen bei Volkswagen und vor allem EDEKA stärker in den Blick. Zudem sprechen alle Unternehmen hier eher über CSR (Corporate Social Responsibility) als auf Facebook. Dialog und Kontakt spielen hingegen überhaupt keine Rolle. Sowohl bei Volkswagen als auch Amazon stimmen die Top-Themenkategorien auf Facebook und in der Pressearbeit überein. „Bereits die Themenanalyse lässt vermuten, dass Facebook für die untersuchten Unternehmen vor allem ein verlängerter Werbe- und Push-Kanal ist“, sagt Andreas Brüser. „In der Pressearbeit geht es bei Volkswagen und EDEKA eher um klassische PR-Themen, während Amazon auch hier häufig pure Marketinginhalte bringt.“

Kaum Nachrichtenwert

Nachrichtenfaktoren, also journalistische Auswahlkriterien für News wie Aktualität, Status und Nähe, spielen bei den Facebook-Texten eine viel geringere Rolle als in der Pressearbeit. Während drei von vier VW-Pressemitteilungen einen Nachrichtenwert haben, ist das nur bei einem von zehn Posts der Fall. Bei Amazon und EDEKA ist das Verhältnis ähnlich, wobei EDEKA-Pressetexte etwas öfter News Value bieten. Das Unternehmen legt viel Wert auf regionale Informationen, was sicher der genossenschaftlichen Struktur geschuldet ist. „Das Fehlen des Nachrichtenwerts auf Facebook könnte als Signal verstanden werden, dass hier Dialog wichtiger ist als die Übermittlung von Informationen“, sagt Alexander Güttler. „Dass dies aber nicht so ist, zeigt die Analyse der Textstile.“

Ratgeber scheitern an der Realität

Die sprachwissenschaftliche PR-Forschung unterscheidet nach Dr. Annika Schach, Professorin für angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover, zwischen vier Textstilen:

  • Informativ (sachlich, beschreibend) – Beispiel Nachricht
  • Imageprägend (argumentativ, werbesprachlich) – Beispiel Imagebroschüre
  • Dialogorientiert (fragend, auffordernd) – Beispiel Diskussionsfrage
  • Obligativ (selbstverpflichtend) – Beispiel Code of Conduct

Die gängige Ratgeberliteratur zum „richtigen“ oder „erfolgreichen“ Schreiben empfiehlt zwei Texttypen: den dialogorientierten Social-Media-Text, der zum offenen Austausch mit Usern anregt, und die sachlich-beschreibende Pressemitteilung, die sich an journalistischen Standards orientiert. Glaubt man den Websites und Büchern, müssten die untersuchten Facebook-Posts also dem dialogorientierten Stil folgen und die Pressetexte dem informativen. Aber in der Praxis sieht das anders aus.

Fast zwei Drittel der Posts von Volkswagen und Amazon sind rein imageprägend, orientieren sich also an der Werbesprache. Bei EDEKA ist der Anteil kleiner. Dabei legt das Unternehmen mehr Wert auf Information als auf Dialog. Nur zwei von fünf Posts von Volkswagen und EDEKA sowie einer von fünf Amazon-Texten sind rein dialogorientiert. In einigen Fällen kombinieren die Posts auch imageprägende und dialogorientierte Aspekte. Ein Beispiel ist dieser Volkswagen-Text vom 22. November 2016, der als Teaser auf eine neue Produkt-Website verlinkt. Er verbindet eine klassische Push-Sendung mit der Aufforderung zur kommunikativen Reaktion.

Pressetexte im Marketingsprech

Auch die Pressemitteilungen weichen zum Teil stark vom sachlich-informativen Idealtyp der Ratgeberliteratur ab. Während bei Volkswagen noch knapp über die Hälfte der Texte rein informativ sind, trifft das nur auf 45 Prozent der Amazon- und 39 Prozent der EDEKA-Pressemitteilungen zu. Neben der Kombination von informativen und imageprägenden Elementen spielt gerade bei EDEKA der rein imageprägende Stil mit 34 Prozent eine wichtige Rolle. Ein Beispiel dafür ist der folgende Auszug aus einem Pressetext vom 25. Oktober 2016, der mit vielen Hochwertwörtern arbeitet:

„Meisterliche Leistung: Beim bundesweiten Wettbewerb um „Deutschlands beste Wurst-Theke 2016“ geht EDEKA Schwaiberger in der Neuburger Straße 104 in Passau als Sieger hervor. […] Zahlreiche Spezialitäten, konsequente Kundenorientierung und erstklassig geschultes Fachpersonal überzeugten die Kunden und Experten-Jury um Sternekoch Johann Lafer gleichermaßen. Sie wählten den Markt aus Passau in der gestrigen Finalrunde auf der Stromburg zur Nummer eins unter den zehn besten Wursttheken.“

Mehr Dialog gleich mehr Erfolg?

„Wir sind in den Social Media auf viel Produkt- und Marketingkommunikation gestoßen, auf geplante Impulsketten und immer wieder fröhlich inszenierte Dialog- und Pseudodialog-Aktionen“, sagt Alexander Güttler. Ist das nun gut oder schlecht? Das lasse sich so nicht beantworten. Denn es brauche zum einen mehr Daten und zum anderen sei nicht klar, wie die Botschaften bei den Rezipienten wirklich angekommen sind – beides Themen für weitere Untersuchungen.

Die Ergebnisse der Studie fasst der komm.passion-Chef so zusammen: „Wir haben es mit Unternehmen zu tun, die erfolgreich Produkte und Images verkaufen. Da ist es nicht verwunderlich, dass wir dies auch in der Social-Media-Kommunikation finden. In Expertendiskussionen hören wir immer wieder, dass das Internet erwachsen wird und dabei auch schlichtweg ‚normal‘. Vermutlich haben wir in der Analyse ein weiteres Indiz dafür gefunden, was mit ‚normal‘ gemeint ist. Was nicht heißen soll, dass bei der Inszenierung von Themen und Dialogen sowie bei der Einbindung von Rezipienten in die Weiterentwicklung von Produkten und Unternehmen nicht noch Luft nach oben ist.“

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