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Was uns Homeoffice und New Work lehren – ein Zwischenbericht als Gespräch

Quadratmeter, Kultur und Kuchen

Vor über einem Jahren hat Corona uns Büromenschen ins Homeoffice geschickt, Kulturen verändert und gnadenlos Richtung mehr Agilität erzwungen. Das Erstaunlichste daran: Irgendwie hat es funktioniert. Mit der verblüffenden Erkenntnis, dass Agilität eben nicht frei von Hierarchien, Strukturen und Kontrollen ist. Nur anders!  Und jetzt dürfen wir bald zurück und wollen das eigentlich nur so halb. „Hybride Lösungen“ heißt es allerorten. Doch wie sehen die aus, wieviel Platz muss zur Verfügung gestellt werden und was meint das für die Gestaltung neuer Innenräume? Und wieviel direkten, persönlichen Austausch braucht eine Kultur, um leben zu können? Ein kritischer Diskurs zu möglichen Lösungen.

Güttler: Thema Quadratmeter. Aus Unternehmen wie Agenturen höre ich, dass sich die Immobilienbranche warm anziehen muss, die Office-Quadratmeter gehen langfristig runter, auch bei hybriden Arbeitsweisen. Es wird nicht mehr den Bedarf geben wie zuvor.

 

Mirkovic: Ich glaube, dass sich Vermieter nicht grundsätzlich so viele Sorgen machen müssen, aber es wird auf jeden Fall eine Verschiebung stattfinden. Was es definitiv aber nicht geben wird, ist die Rückkehr zu 100 Prozent Präsenz und was definitiv genauso wenig selig macht, ist nur das stille Kämmerlein.

Die Flächen werden sich verändern und dabei kann es sein, dass es ein paar Quadratmeter weniger werden. Die bestehenden Räumlichkeiten werden aber vor allem anders gestaltet sein und es wird ein Schwerpunkt auf den Austausch gelegt werden. Auf die Möglichkeiten miteinander zu interagieren und auch temporär unterschiedlich große Teams zu bilden. Das erfordert verschiedene Raumgrößen oder auch eine flexible Innenraumgestaltung. Da gehört dann die entsprechende Videotechnik dazu, damit die Kolleg:innen im Homeoffice auch von unterschiedlichen Orten mittun können. Den klassischen Großraum sehe ich allerdings gar nicht mehr, der Großraum ist tot ...

 

Güttler: … weil die Zukunft hybrid ist, unterschiedliche Rückzugsräume und Arbeitsmöglichkeiten braucht. Und ehrlicherweise kann man heute nur schwer abschätzen, wie hoch der Flächenbedarf wirklich sein wird – 60 Prozent vor Ort und 40 im Homeoffice oder umgekehrt? Oder vielleicht wird das Büro als Treffpunkt und Anker noch viel wichtiger als heute …

 

Mirkovic: Absolut richtig. Ich sehe da Riesenchancen. Und man muss erst einmal inhaltlich nachdenken. Es gibt Menschen, die gerne schwerpunktmäßig Homeoffice machen möchten, weil das für sie sinnvoll ist, weil sie die Ruhe brauchen, um sich konzentrieren zu können oder weil es irgendwelche anderen Gründe gibt. Andere brauchen viel stärker den Austausch, die direkten Gespräche, das gemeinsame Arbeiten am Whiteboard. Und natürlich gibt es alle Mischformen und das ist auch von Themen wie Projekttypen abhängig: Eine kreative Entwicklung geht oft viel besser, wenn man sich sieht – oder sich wenigstens sehr gut kennt. Andererseits zieht sich der:die Texter:in dann zurück und braucht Ruhe …

 

Güttler: Also möglicherweise eher so etwas wie flexible Konzepte und auch bewegliche Wände, damit man mit Teams auch im Sinne der agilen Projektarbeit zusammensitzen kann, vermutlich auch temporär unterschiedlich. Wir dürfen uns da auf neue Innenarchitekturmodelle freuen. Ich glaube allerdings nicht, dass jede:r noch weiterhin seinen festen Arbeitsplatz haben wird. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn, dass Plätze vorgehalten werden für Arbeitnehmer:innen, die vielleicht nur ein oder zweimal die Woche im Büro sind. 

 

Mirkovic: Wir dürfen nur auch die Bedeutung der Präsenz nicht unterschätzen, die spielt halt weiter eine wichtige Rolle. Weil wir am Ende nicht nur Satelliten sind, die in einzelnen Homeoffices arbeiten, sondern wir brauchen auch diese Gemeinsamkeit, diesen „Schmelzpunkt“ mit den Menschen, wo Neues durch direkte Zusammenarbeit entsteht. Nach über einem Jahr nahezu ausschließlich Homeoffice merkt man ganz deutlich diese Sehnsucht, jemanden wahrzunehmen, nicht nur bis zum Hals auf dem Bildschirm, sondern als ganzen Menschen im Raum. Es fehlt auch das Spontane. Wenn man im Homeoffice sitzt, muss man für jeden Termin und jedes Gespräch einen klaren Plan haben und man muss seinen ganzen Arbeitstag anders strukturiert beginnen, als wenn man zusammen vor Ort ist. Da entstehen beiläufig Momente, wenn man aneinander vorbeigeht, wenn man kurz in der Kaffeeküche ist, wenn man mithört, wie jemand etwas mit jemandem bespricht. Diese Momente werden auch weiterhin sehr kostbar sein und deshalb wird es eine Mischung brauchen.

 

Güttler: Da sind wir direkt bei Themen wie Marke oder Unternehmenskultur. Man hat quasi morgens die Tür durchtreten und immer ein Stückchen Unternehmenskultur gespürt, schon durch die Logos, die Gestaltung der Räume. Man hat so eine ganz bestimmte Vorstellung von einem innovativen Startup und oft stimmt auch das Klischee, da hängt ein Fahrrad, da steht ein Kicker, so ein bisschen Industriecharakter gehört auch dazu. Seit Corona sind diese Erlebnisse ganz oder weitestgehend weggefallen. Geht Marke überhaupt virtuell?

„Wenn man im Homeoffice sitzt, muss man für jedes Gespräch, jeden Termin einen klaren Plan haben. Diese beiläufigen Momente vor Ort werden auch weiterhin sehr kostbar sein und deshalb wird es eine Mischung brauchen.“

Jelena Mirkovic

Mirkovic: Aus meiner Sich ganz schwierig. Genau das ist auch der Grund, warum es nicht ganz ohne Präsenz funktionieren wird. Wir sind gerade dabei mit den GPRA-Agenturen zu erarbeiten, wofür Agenturkultur im Vergleich zu einer Unternehmenskultur oder einem losen Verband von Freelancern steht. Aus meiner Sicht haben Agenturen eine bestimmte Sichtweise auf die Dinge. Wir sind die, die eine andere Perspektive reinbringen. Wir stecken eben nicht in den Kundenprozessen selbst, sondern sind diejenigen, die die Prozesse analysieren, aus bewusst anderer Sicht bewerten und dann auch Alternativen vorschlagen oder eben neue kreative Lösungen. Dazu braucht man diesen Abstand und ich glaube, der ist es, der Agentur wirklich ausmacht. Und genau das braucht den Austausch. Damit man eben nicht komplett den Blickwinkel des Kunden einnimmt, sondern sich als Gruppe eine eigene Sicht der Dinge bewahrt. Deshalb ist Gemeinschaft so wichtig und deshalb brauchen wir dringend wieder eine Mischung.

 

Güttler: Also die neu erarbeitete Flexibilität verbinden mit mehr Austausch, einer eigenen Kultur, die den Perspektivwechsel als quasi Daseinsberechtigung der Beratung ermöglicht. Dazu brauche ich ehrlicherweise die Gruppe. Das kann ich nur bedingt alleine im Homeoffice machen. Es braucht die Gruppe, die sich hochschaukelt, weiterdenkt, Ideen entwickelt und auch wieder runterkommt. Dazu brauche ich ein Umfeld, das möglicherweise auch schon von den Räumlichkeiten her signalisiert: „Hier kannst du dich in deinen jeweiligen Teams treffen.“ Ein Ort, an den man gerne geht; Räume, die auch attraktiv und nicht nur funktional sind.

In diesem Zusammenhang taucht immer wieder das Thema Agilität auf. Das Homeoffice hat schnell mehr Eigenverantwortung, zumindest mehr Eigenorganisation gefordert. Der Druck hat im Agilen häufig sogar zugenommen durch die Transparenz. Da sind viele Missverständnisse entstanden. Agil meint eben nicht demokratisch, sondern bewegliche Systeme, die Mehr und Besseres leisten wollen. Da ist die Freiheit, die jeder will, nur geht diese mit der „hässlichen Schwester“, der Verantwortung, einher. Und auch das geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern mit klaren Regeln, Strukturen und Prozessen. Dazu gehört klare Führung, Hierarchien, oft an wechselnde Rollen gebunden, und natürlich Kontrolle, am besten transparent und in Zahlen.

 

Mirkovic: Ich kann für uns nur sagen, wir haben extrem davon profitiert, dass wir dieses System schon vor Jahren eingeführt hatten und dass wir somit Agilität nicht von einer Sekunde auf die nächste – in dem Moment wo Homeoffice durch Außenbedingungen notwendig wurde – erst einmal erproben mussten. Dabei gehören HO und Agilität für mich nicht zwangsweise zusammen, nur ist es im HO nahezu unmöglich, alte hierarchische Strukturen komplett unverändert durchzuziehen. Auch moderne IT-Strukturen unterstützen eher ein kollaboratives und damit agileres Arbeiten.

Und ja, natürlich gibt es auch hier bei uns Hierarchien. Nur stehen diese nicht für die klassischen Hierarchien, die man kennt. Sondern sie stehen für die Rolle, die man innehat – in dem jeweiligen Moment und im bestimmten Projekt. Und dann wechselt man seine Rolle und bekommt eine ganz andere Hierarchiestufe. Zum Beispiel steuert man ein Projekt oder man ist Zulieferer für ganz bestimmte Inhalte oder man ist strategischer Sparringspartner etc. 

 

Güttler: Das heißt, man muss im Kopf flexibel genug sein, den Rollenwechsel umzusetzen? Und man muss es wollen?

„Virtuelle Office-Atmosphäre: Ist das eher was für Mario Barth oder könnten solche Dinge wirklich helfen?“

Prof. Dr. Alexander Güttler

Mirkovic: Ja, aber so verschieden wie die Menschen sind, funktioniert das halt auch verschieden. In unserem Modell gibt es auch Fachkarrieren, die eben in ihrer Expert:innen-Rolle genauso erfolgreich sind und die viel im Querschnitt arbeiten. Aber an der größeren Verantwortung für die Eigenorganisation geht kein Weg vorbei, egal ob Expert:in oder Manager:in. Und man muss sich mit dem System auseinandersetzen. Bei uns zum Beispiel gibt nur wenige Regeln und Strukturen, aber die sind so in Stein gemeißelt, dass alle wissen, was sie definitiv beachten müssen. Für den gesamten Rest hat jede:r dann die Freiheit, diesen für sich selbst zu gestalten. Das ist es, was es wirklich attraktiv macht. Es gibt viel Gestaltungsraum, aber keine Beliebigkeit. Die Regeln helfen da sehr, aber wer alles vorgegeben haben will, der:die ist in solchen Systemen fehl am Platze.

 

Güttler: Für mich kann man fast generell sagen: Wer im Bereich Professional Services etwas werden will, das betrifft Anwält:innen genau wie Wirtschaftsprüfer:innen, Kommunikations- und Marketingmenschen, Organisations- oder Strategieberater:innen etc. – der oder die sollte Verantwortung übernehmen und gestalten wollen. Nur dass dies keine Einbahnstraße mehr ist, sondern dass Rollenwechsel immer wieder ein anderes, viel flexibleres Führungsverständnis erfordern. Auch Anweisungen gibt es weiter, halt nur von wechselnden Menschen.

 

Mirkovic: Ein zentrales weiteres Thema bei Homeoffice, Kultur und agilem Arbeiten ist der Umgang mit neuen Kolleg:innen, also das Thema „Onboarding“. Das hat sicher auch unter Corona gelitten. Wie bekomme ich denn Leute an Bord, wenn sie sich so wenig sehen und wie bekomme ich da vermittelt, dass es nicht nur Regeln, sondern auch eine Kultur gibt? Daran arbeiten wir massiv und sicher wird ein rein digitales Onboarding auch nie so gut sein, wie es Face to Face möglich ist. Bei uns gibt es inzwischen einen durchgestalteten Prozess mit persönlichen Ansprechpartner:innen und einer ganzen Reihe von Formaten – vom virtuellen Lunch-Roulette bis zur „Ask me anything“-Session – damit verschiedene Eindrücke möglich sind.

 

Güttler: Eigentlich müssen wir die Dinge, von denen wir früher gedacht haben, die sind selbstverständlich, auf einmal planen und Routine schaffen, ohne dass es ein monströser Kalender wird. Aber es hilft, dass man die Essentials festlegt und weiß, man ist im Austausch, ich habe die Gelegenheit nochmal was zu fragen. Da wird auch viel experimentiert. Es gibt ja jetzt Leute, die setzen sich vor den Bildschirm und lassen eine Videosession laufen, um virtuell mit anderen in einem Raum zu sitzen, damit man so ein bisschen Office-Atmosphäre hat. Was denkst du? Ist das eher was für Mario Barth oder könnten solche Dinge helfen?

 

Mirkovic: Vor ein paar Monaten hätte ich definitiv noch Mario Barth gesagt, heute sage ich: Ich habe mich selbst schon mal in das digitale Büro gesetzt. Es ist wirklich spannend und ich kann das total gut nachvollziehen. Ich sehe auch, dass diese Angebote angenommen werden, sowohl bei uns als auch bei anderen Agenturen. Das kann man einmal in seinem Projektteam machen, weil es hochgradig Sinn macht, da sich Fragen schnell klären lassen. Und das Coole daran ist, wenn man dann zwischendrin telefonieren muss, kann man einfach auf stumm gehen. Es ist ein flexibles „Nach Bedarf“-Büro. Nur die Sache mit dem regelmäßigen Kuchen-Mitbringen ist da natürlich noch etwas schwieriger, aber da gibt es für Notfälle ja Lieferdienste … 😉 ?

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