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Warum Kommunikation bei digitaler Transformation eine Schlüsselrolle einnimmt

Maschinen, Menschen, Demagogen

© komm.passion

Wasser ist nass, in Amsterdam fallen gelegentlich Fahrräder um und die Welt wird immer digitaler. Auf den ersten Blick lohnt es die Mühe nicht, der Artikelflut zur digitalen Transformation einen weiteren Strauß an Binsenweisheiten hinzuzufügen. Was technisch machbar ist, ist immer schon gemacht worden – vorausgesetzt, es bringt Gewinn – und die Digitalisierung macht hier keine Ausnahme. Sieht man sich die Gemengelage allerdings nicht wie üblich mit der Lupe, sondern aus dem Hubschrauber an, so wird das Thema wieder erheblich spannender.

Aus dieser Perspektive geht es nicht mehr um die Frage, ob die übernächste Generation von Smartphones bereits implantiert ist, wer für die Parkschäden eines autonom fahrenden Tesla haftet oder wie lange sich Kommunikationsagenturen noch mit dem Layout von gedruckten Broschüren herumschlagen dürfen. Hier geht es vielmehr um die Frage, ob beispielsweise Donald Trump ein Kollateralschaden der Digitalisierung ist, wie eine Gesellschaft aussehen kann, in der Arbeit nur noch für eine Minderheit zur Verfügung steht, und welchen neuen Verantwortungen die Kommunikationsbranche dabei entgegensieht, die bisher noch nicht im Fokus der Diskussion standen.

All he can do for money is drive

Übernimmt man den angelsächsischen Brauch, die Welt in eine Domäne blauer und eine Domäne weißer Kragen zweizuteilen, so schrumpft der Bedarf in der Blaumann-Abteilung schon seit langer Zeit dramatisch. Bereits 1784 mechanisiert beispielsweise Edmund Cartwright den Webstuhl und stellt damit Heerscharen von Facharbeitern frei. Wenig später konnten auch die beiden armen Kerle entlassen werden, die noch an der Kurbel des Geräts schwitzten, denn diese Aufgabe übernahm eine Dampfmaschine. Nach mehr als zwei Jahrhunderten energischer Innovation spielt manuelle Arbeit in den Industrieländern mittlerweile kaum noch eine Rolle.

Überall dort, wo sich Automatisierung rechnet, ist sie umgesetzt. Was weiterhin besser von Menschen erledigt werden kann, ist in Schwellenländer ausgelagert, in denen die Löhne niedrig und die Arbeitstage lang sind. In der Heimat bleibt geringqualifizierten Arbeitssuchenden wenig mehr als die Option, Lastwagen zu fahren. Genau hieraus, bei den desperaten Verlierern des industriellen Wandels, rekrutiert sich schon heute ein großer Teil der Trump-Fans, Brexit-Befürworter und AfD-Wähler – auch wenn dies natürlich eine polemische Verkürzung ist.

Es kommt allerdings noch schlimmer. Mit dem Übergang von der Roboterisierung des Fließbandes zur intelligenten Digitalisierung ganzer Wertschöpfungsketten nimmt die Transformation weiter Tempo auf. Dass unsere Lastwagen auf dem Weg von A nach B schon sehr bald auf die Chauffeurdienste übergewichtiger Country-Fans verzichten können, ist dabei nur ein Randphänomen. Viel dramatischer ist, dass eine beinahe menschenleere „Dark Factory“ schon in naher Zukunft ebenso gut in Baden-Württemberg wie in Burkina Faso stehen kann. Die Industrieländer werden wieder als Produktionsstandorte attraktiv. Gut ausgebildete Maschinensteuerer finden sich hier sogar besser. Unvermeidliche Konsequenz bilden Ströme von Flüchtlingen aus Asien und Afrika, deren Ausmaß die Bilder von 2015/16 um ein Vielfaches übertreffen wird.

„Alexa, den Jahresabschluss für 2020 bitte“

Bisher wird das triste Los des Prekariats von den Bewohnern der Teppichetagen noch aus gelassener Distanz betrachtet. Damit wird allerdings bald Schluss sein. Weitgehend unbemerkt kommt die Digitalisierung aus den Startlöchern, um auch in der Domäne der weißen Kragen gründlich aufzuräumen. Neuronale Netzwerke sind inzwischen so leistungsfähig, dass sie bei einer Vielzahl von Aufgabenstellungen menschlicher Intelligenz nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen sind. Längst geht es nicht mehr um dumpfe Rechenleistung, wie etwa bei den Schachcomputern der Vergangenheit, sondern um echtes Lernen, mit dem selbst hochkomplexe, intuitive Aufgaben gemeistert werden.

Die Künstlichen Intelligenzen (KI) entwickeln dabei eine verblüffende, wenn nicht sogar beängstigende Selbstständigkeit. Um herauszufinden, dass wir Zweibeiner Gefallen an Katzenvideos auf YouTube finden, benötigt ein neuronales Netzwerk keine Unterstützung und bastelt sich die Algorithmen zum Erkennen der Tierchen gleich nebenbei mit. Dass so etwas auch nach hinten losgehen kann, lernte Microsoft im Jahr 2016, als sein autonomer Twitter-Chatbot „Tay“ binnen weniger Stunden zum Nazi mutierte und abgeschaltet werden musste.

Die Übernahme der Weltherrschaft durch den Computer steht noch nicht auf der Tagesordnung, selbst wenn kluge Leute wie Stephen Hawking und Elon Musk sich ernsthafte Sorgen in dieser Richtung machen. Doch was unterhalb dieser Schwelle abläuft, ist schon bemerkenswert genug. Mittlerweile gehören KI in Gestalt gehorsamer Assistentinnen fast schon zum Alltag, sei es bei der Navigation im Auto, bei der Suche nach dem passenden Restaurant oder der Thermostateinstellung im smarten Eigenheim. Dass genau diese dienstbaren Geister derweil unsere Kreditanträge ablehnen und sich um unsere Jobs bewerben, wird gerne übersehen. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Bewertung von Kreditrisiken als algorithmusbasierter Vorgang aus der Hand des Sachbearbeiters genommen und einem Computer übertragen wird.

Je schneller Entscheidungen getroffen werden müssen, je größer die zu durchforstenden Datenberge sind, umso unausweichlicher wird der Einsatz von KI, sei es beim Arbitragehandel an den internationalen Börsen oder der Beglückung potentieller Kunden durch individualisierte Werbung. Genau hier beginnt dann auch der Abbau ehemals felsenfest in menschlicher Hand befindlicher Arbeitsplätze. Vom Versicherungsvertreter über den Bankangestellten bis zum Buchhalter wanken die Bastionen administrativer Jobs, und selbst Rechtsanwälten und Journalisten wird bereits heute die Feder von der KI aus der Hand genommen. Vielleicht ist ja sogar dieses Dossier schon von einer KI geschrieben, merken würde es beim aktuellen Stand der Technik kaum noch jemand. Kein Wunder, dass in einer Studie zu den Digitalisierungsrisiken Service- und Vertriebsmitarbeiter sowie Büroangestellte die größten Segmente auf der Verliererseite ausmachen. Nach den Arbeitern geraten nun also auch die Angestellten ins Räderwerk der Digitalisierung. Damit aber wird Arbeit endgültig zur Mangelware in der sozialen Realität. Die entscheidende Frage in Literatur und Film lautet daher schon lange nicht mehr, wozu wir Maschinen benötigen, sondern wozu die Maschinen uns noch brauchen (so sie denn je ein Bewusstsein entwickeln …).

Politik jenseits der Arbeitsgesellschaft

Das Problem der digitalen Transformation trifft eine Welt, die ohnehin schon aus den Fugen geraten zu sein scheint. Es bleibt schleierhaft, wie die ökologischen Herausforderungen eines Planeten mit bald acht Milliarden Bewohnern bewältigt werden können. Zudem gelingt es den Staaten in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft immer weniger, ihren Anteil der Wertschöpfung in Form von Steuern abzuschöpfen. Ein Großteil der faktischen Macht hat sich von den demokratisch legitimierten Institutionen in die Hände einer kleinen Elite von Konzernen und Individuen verlagert, die von der Politik nur noch sehr partiell kontrolliert werden. Dieser Bündelung schwer greifbarer Macht entgegengesetzt entwickelt sich die wachsende Komplexität ökonomischer und sozialer Systeme in ausufernden Bürokratien, deren oberste Maxime die Selbsterhaltung ist. Auf beiden Ebenen regieren gleichermaßen die keynesianischen Götter „Geiz“, „Wucher“ und „Misstrauen“ – Eigennutz geht vor Gemeinwohl.

In einem solchen Kontext geht die Einkommensschere fast zwangsläufig immer weiter auf, Produktivitätsgewinne kommen nicht mehr beim Bürger an, sondern landen beim Shareholder oder versickern im Labyrinth bürokratischer Verteilungsnetzwerke. Wird dieses Phänomen durch die Verknappung von Arbeit noch verstärkt, sind die gesellschaftlichen Folgen unabsehbar. Schon jetzt wird die rapide Veränderung der politischen Landschaft entscheidend von dieser Dynamik getrieben. Die Verlierer des gesellschaftlichen Umbaus befinden sich in Phase eins ihrer Trauerarbeit – „Verleugnung“ – und laufen Rattenfängern nach, welche ihnen die Paradiese der Vergangenheit zurückbringen wollen. Die bislang dominierenden Volksparteien, insbesondere die klassischen Arbeiterparteien, stehen mit ihren Kernpositionen dagegen auf verlorenem Posten. Punkten können sie nur noch, wenn sie sich über ihre extremen Flügel ebenfalls auf populistisches Gelände vorwagen. Ob dabei nun das konservative Paradies der 1950er-Jahre versprochen wird, wie bei Trump, Farage und Gauland, oder das sozialdemokratische Paradies der 1970er, wie bei Sanders und Corbyn, ist dabei gleich trügerisch. Denn beides ist gleichermaßen romantisch rückwärtsgewandt und zeigt nur, dass Wünschen häufig stärker ist als Denken.

Wirkliche Lösungen setzten vielmehr ein radikales Umdenken in zentralen politischen und gesellschaftlichen Fragen voraus, das vermutlich quer zu allen traditionellen Links-/Rechts-Unterscheidungen verlaufen wird. Jenseits der Arbeitsgesellschaft muss der Begriff der „Arbeit“ völlig neu definiert werden und – vielleicht noch entscheidender – der Begriff der „Arbeitslosigkeit“ entstigmatisiert werden. Wenn Arbeitssuchende zur Mehrheit werden, ist es keine Option mehr, sie als „Sozialschmarotzer“ zu diffamieren. Logische Konsequenz ist das bedingungslose Grundeinkommen, auch wenn dabei die Zahnbürstenzähler des Sozialamts ebenfalls in die Arbeitslosigkeit rutschen. Achtung, das meint natürlich keine Hauruckverfahren, sondern eine schrittweise Anpassung an sich absehbar verändernde Realitäten.

Parallel muss das Konzept der Steuern, sprich die Beteiligung des Staates an der Wertschöpfung, ebenfalls auf ein neues, für eine globalisierte und digitalisierte Welt taugliches Niveau gehoben werden. Hier mag eine Maschinensteuer den notwendigen Steuerzuwachs für das Grundeinkommen bringen. Es wäre nicht überraschend, wenn genau diese Vorschläge von populistischen Regierungen als erste verwirklicht werden, damit sie nach dem Scheitern ihrer Rückwärtsutopien tatsächlich etwas für ihre Klientel tun können. Ärgerlich nur, dass hier internationale Zusammenarbeit besonders wichtig ist, um nicht weltweiten Fluchtbewegungen von Geld und Produktion Vorschub zu leisten.

Erfolgsfaktor Kommunikation

Die Kommunikationsbranche ist bei der digitalen Transformation natürlich mit im Boot – vielleicht sogar in einer zentraleren Rolle, als ihr bisher bewusst ist. Zunächst einmal ist es eine triviale Notwendigkeit, mit den rasch aufeinanderfolgenden Phasen der Digitalisierung Schritt zu halten. Verkauft und überzeugt wird längst überwiegend online – und dort immer stärker mit dem Fokus auf mobilen Plattformen und Social Media. Was auf dem Handy nicht stattfindet, findet oft gar nicht mehr statt. Wer hier noch nicht vollständig angekommen ist, hat reichlich Gelegenheit, sich in geeigneten Seminaren fit zu machen und seine Kapazitäten entsprechend umzubauen. Wichtiger als die Anpassung althergebrachter Strategien an neue Medien ist es allerdings, die neuen Chancen einer grundlegend veränderten Kommunikationslandschaft zu nutzen. Big Data ermöglicht einen präzisen Blick auf Einstellungen und Verhalten der Zielgruppen und bahnt damit den Weg zu ebenso präzisen Kommunikationsmaßnahmen. Wie erfolgreich diese Strategie ist, zeigt der Siegeszug von Labour bei den letzten Wahlen in Großbritannien, bei denen differenzierte Mailings punktgenau auf die Sorgen und Nöte im jeweiligen Wahlbezirk abgestimmt waren. Bei der nächsten Einstellungsrunde sollten Agenturen also eher auf ihre IT als auf ihre Personalabteilung hören und eine KI ganz oben auf die Liste setzen. Mit PAS (Pragmatic Analytic Services) kann man heute seine Fans im Internet in jeder Ausprägung kennenlernen und mit entsprechend differenzierten Themen bespielen. Hierzu muss keiner mehr nach Cambridge fahren.

Der digitale Wandel ist aber nicht nur eine „technische“ Herausforderung für professionelle Kommunikatoren – er ist auch eine ihrer wichtigsten inhaltlichen Aufgaben. Veränderung – und hier vor allem der digital getriebene Change – wird zu einem Dauerthema. Mitarbeitern, die sich gerade ermattet vom letzten Umbauprojekt („Fit for Future 23/d“) zurücklehnen und den Status quo genießen wollen, muss nahegebracht werden, dass der Wandel nie mehr aufhört. Entsprechend hoch ist der Unterstützungsbedarf bei der schlagkräftigen Kommunikation neuer Unternehmenspositionierung nach außen und der Begleitung von Umbauprozessen in der internen Kommunikation. Gleiches gilt für Kampagnen auf gesellschaftlicher Ebene. Veränderung muss immer bergauf durchgesetzt werden, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wenn die Inhalte dann auch noch komplex und potentiell bedrohlich sind, ist die Vermittlung eine Aufgabe für Profis. Viel zu oft sind bittere Pillen mit argumentativem Zuckerguss kaschiert oder noch banaler als „alternativlos“ durchgeprügelt worden. Die Quittung ist eine breite Rebellion gegen die Eliten und ihre Rhetorik. Unabhängig von ihrer inhaltlichen Qualität werden daher zukünftig nur noch Ansätze Erfolg haben, die von qualifizierten Kommunikatoren auf einen breitentauglichen Komplexitätsgrad reduziert werden. Und ja, das bedeutet sicher auch Verdichtung, Emotionalisierung und gute Dramaturgien. Vertrauen entsteht nicht rational.

Um ihre Zukunft muss sich die Kommunikationsbranche also keine Sorgen machen. Wer gute Lösungsvorschläge für unsere drängendsten Probleme hat, braucht eine noch bessere Agentur, um sie einer überforderten und widerstrebenden Gesellschaft schmackhaft zu machen. Erheblich mehr Anlass zum Grübeln bietet die Frage, wie weit die Branche der Versuchung nachgeben darf, sich als „Rent a Goebbels“ mit Kampagnen für dubioseste Auftraggeber eine goldene Nase zu verdienen. Aktuelle Wahlkämpfe und Referenden zeigen, wie schnell eine politikmüde Bevölkerung auf verlockend schlichte Demagogie hereinfällt und wie erfolgreich Meinungssteuerung in der Grauzone von Social Media ist. Kommunikatoren sind zukünftig die Schlüsselfiguren des Wandels. Sie sollten also gründlich darüber nachdenken, ob sie sich vor jeden Karren spannen lassen oder ob sie sich aktiv für ein eigenes Zukunftsmodell demokratischer Gesellschaften einsetzen. Das fordert normative Diskussionen und eine immer wieder neue Ethikdiskussion – gerade in Zeiten, in denen verdeckt agierende Bots oder „Fake News“ nicht immer leicht zu dekuvrieren sind.

Ein wichtiger Treiber dieser Diskussion könnte sicher auch der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) sein. Gut und hilfreich, dass dieser sich in seiner Organisationsstruktur erst kürzlich stärker fokussiert und damit an Handlungsfähigkeit deutlich gewonnen hat. Diskurs kommt auf uns zu – in den Organisationen wie auf gesamtgesellschaftlicher und damit politischer Ebene. Und wie auch die aktuellen politischen Tangram-Spiele zeigen, eines ist Politik sicherlich nicht mehr: langweilig.

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