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Seriöse Public Affairs in postfaktischen Zeiten

Entscheidend ist, wo es wehtut

Was für eine Zeit! Die Menschen diskutieren wieder über Politik. Sie gehen für Europa auf die Straße. Und selbst die alte Dame SPD hat wieder Zulauf wie in besten Willy-Brandt-Tagen. Glaubt man der Berichterstattung, ist vieles davon die Reaktion engagierter Demokraten auf den Populismus, der sich in der Politik zunehmend breit macht und mit hoher Aggressivität Grenzen verletzt, die bisher als gesetzt galten. Aber war Politik nicht schon immer zumindest populär? Und was ist dann der Unterschied zwischen „populär“ und „populistisch“?

Es gehörte schon immer zum politischen Handwerk, komplexe Vorhaben in einfachen Formeln zu verdichten, sodass sie auch von einfachen Menschen verstanden werden können. Und es gehörte schon immer zum Rüstzeug „denkwürdiger“ Redner – Wehner, Strauß, Schmidt oder Schröder – mit spitzen Formulierungen Emotion und damit Zustimmung oder Ablehnung zu mobilisieren. Ja, Politik muss populär formulieren, vereinfachen und dem Volk dabei aufs Maul schauen, um aufzuklären und Mehrheiten zu organisieren. Aber: Das ist nicht gleich Populismus.

Die Digitalisierung verändert die Debattenkultur

Was wir zugespitzt in der „großen“ Politik erleben, verändert auch die Bedingungen, unter denen Public Affairs Interessen von Verbänden oder Unternehmen vermitteln soll. Das hat mit der digitalen Transformation zu tun, in Folge derer praktisch jedes Thema über Nacht zum Gegenstand öffentlichen Interesses und damit auch öffentlicher Entrüstung werden kann. Wo immer der vermeintliche Interessenkonflikt zwischen „Otto Normalbürger“ und Eliten, zwischen „Industriemafia“ und Verbrauchern gewittert wird, wird der Ton schnell emotional und die Argumente einfacher.

Wir bekommen es zunehmend mit Debattentreibern zu tun, die sich um die informellen Spielregeln, sprachlichen Codes und eingeübten Umgangsformen des „politischen Berlins“ wenig scheren. Und weil die sozialen Medien sind wie sie sind, funktioniert der Mechanismus denkbar einfach: eine zugespitzte Aussage im Smartphone-Display-Format, garniert mit reichlich Emotion (Angst, Besorgnis, Empörung, Wut), und ein Thema hat beste Chancen auf eine steile Karriere in der Öffentlichkeit. Entscheidend sind nicht mehr Fachwissen und Expertise, sondern Ton, Timing und Emotionalität.

Public Affairs muss sich dieser Mechanismen bewusst sein und lernen, mit ihnen zu arbeiten. Freilich ohne allen Trends blind hinterherzurennen und alle Erfolgsrezepte 1:1 zu kopieren. Sie muss die rote Linie zwischen populär und populistisch kennen und beachten. Wo also verläuft diese rote Linie?

Die rote Linie: Populär, nicht populistisch

Seriöse Public Affairs erfordert Klarheit in der Haltung und das Einverständnis, Interessen – auch mal robust – auszutragen, ohne die demokratische Kultur zu beschädigen. Sie basiert auf dem was ist – auf Fakten, die sich belegen lassen, auf Interessen, die legitim und begründet sind. Nein, das postfaktische Zeitalter gibt es für seriöse Public Affairs nicht. Es wird immer um Content, nicht um Fiktion gehen. Es gibt keinen Grund (und es führt auch nicht zu nachhaltigem Erfolg), Menschen zu belügen, Zusammenhänge zu vernebeln und frei von Fakten Dinge in die Welt zu setzen, nur um Stimmungen zu erzeugen und Interessen kurzfristig durchzusetzen. Ebenso wenig gibt es eine Rechtfertigung, soziale Gruppen zu kompromittieren oder in ihren Rechten zu beschränken.

Public Affairs darf aber populäre Kommunikationsformen nicht einfach denen überlassen, die mit aggressiven Attacken politische Kultur beschädigen und aus Interessensgegensätzen und politischen Gegnern Feinde machen. Sie muss Wege finden, ihre Inhalte so einzubetten, dass sie für breite Bevölkerungsgruppen verständlich und relevant – und manchmal eben auch unterhaltend werden. Sie muss ihre Komfortzone verlassen und bereit sein, mit der Masse zu reden und für die Masse zu formulieren. Dazu braucht sie das passende Instrumentarium, mit dem sie gerade in den sozialen Medien auch in emotionalen und robusten Debatten bestehen kann. Keine Frage, die „Klassik“ – vom Positionspapier über das 1:1 bis hin zu den parlamentarischen Formaten – wird auch künftig ihren Platz in jeder PA-Strategie haben. Aber die digitale öffentliche Debatte stellt zusätzliche Anforderungen. Auf vier dieser Anforderungen wollen wir näher eingehen:

  1. Strategisches Storytelling
  2. Neue Formate
  3. Bilder
  4. Klarheit

1. Stories, die Menschen gewinnen

Die Public Affairs muss ihre Themen noch besser in „Stories“ übersetzen. Also in Erzählungen, neudeutsch Narrative, die ihrem Anliegen Sinn und Ziel geben: „Warum macht unser Anliegen die Welt besser?“ und „Was leistet unsere Organisation für Gesellschaft und Menschen?“

Die Kognitionswissenschaftler George Lakoff und Elisabeth Wehling haben es auf eine einfache Formel gebracht: „Es genügt nicht, den Menschen zu sagen, welche Politik man betreiben möchte. Man muss ihnen sagen, weshalb diese Politik eine moralische Notwendigkeit ist.“ (Lakoff, George und Wehling, Elisabeth: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Heidelberg 2016, Carl-Auer Verlag)

Genau das muss eine PA-Story heute mehr denn je leisten. Sie muss den großen Bogen zum „Reason Why“ schlagen und plausibel und nachvollziehbar vermitteln, warum ein Anliegen genau jetzt Wirklichkeit werden muss. Dabei darf sie sich nicht im Klein-Klein der Fachlichkeit verlieren – das bleibt das Privileg des Positionspapiers – nein, sie muss Werte und Ziele adressieren, damit sie Kopf und Bauch erreichen kann. 

2. Neue Formate

Die PA-Story braucht adäquate Übersetzungen in die digitale Welt. Die Social-Media-Formate erfordern Zuspitzung und Verdichtung. Wer in 140 Zeichen nicht zum Punkt kommt, findet hier nicht statt. Wer sein Anliegen auf eine starke Zeile mit Bild verdichten kann, wird dagegen umso mehr erreichen.  

Digitales Storytelling braucht Mut zu neuen Formaten, die nach den Gesetzen der Sozialen Medien funktionieren. Erinnern wir uns: Wir reden mit der breiten Öffentlichkeit. Die will nicht nur gehört, sondern auch unterhalten werden. Wie kann das aussehen?

Zum Beispiel durch Anleihen im Entertainment. Mit YouTube-Serien, in denen regulatorische oder ordnungspolitische Schieflagen aus der Sicht der „einfachen Leute“ aufs Korn genommen werden. Oder mit satirisch spitzen Plattformen, zum Beispiel von „Volksbewegungen“ , die sich ebenso schnell als satirisch-fiktive Bewegungen outen wie sie ihren Absender offen legen. Sie können viel freier, emotionaler und anarchischer argumentieren, als das ein Positionspapier kann. Als Flankierung zum fachlichen Stakeholder-Dialog können sie helfen, eine breite Öffentlichkeit für ein Thema zu interessieren und zu mobilisieren.

Unterhaltung und Satire in der Public Affairs – passt das? Geht das mit dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit einher? Und mit der Seriosität, die das Verhandeln von Lebensmöglichkeiten erfordert? Ja, das funktioniert und ist legitim. Wenn zentrale Kriterien stimmen.

Die Erkennbarkeit als Satire gehört ebenso dazu wie die Trennung der Kanäle. Satire und Polittainment müssen auf den ersten Blick als solche erkennbar sein. User müssen sofort erkennen, dass sie es gerade mit Satire, mit einem nicht ganz ernst gemeinten Format zu tun haben. Zudem müssen Ross und Reiter transparent ausgeflaggt sein. Wer die offizielle Website, den offiziellen Blog oder den offiziellen Facebook-Kanal einer Organisation besucht, muss sich auch künftig zu 100 Prozent darauf verlassen können, dass das hier vorgetragene so gemeint ist, wie es hier steht.

Auch visuelle Bilder  – MEMEs, gifs, Videoschnipsel, Infografiken – sind Formate, deren Bedeutung in den sozialen Medien noch immer unterschätzt wird. Mit diesen zum Teil sehr schnellen Formaten lassen sich Botschaften und Ziele hochwirksam auf den Punkt bringen.

3. (Sprach-)Bilder

In den sozialen Medien wird nicht lange reflektiert, sondern oft spontan, impulsiv und emotional reagiert. Dafür brauchen wir eine Sprache, die dem gerecht wird, die einfach ist, zuspitzt und auch emotional verdichtet. Wir müssen unsere zentralen Begriffe sehr genau daraufhin prüfen, welche Bilder und Metaphern wir damit in den Köpfen der Menschen erzeugen. Viele Begriffe sind bereits mit Wertungen besetzt, lösen positive oder negative Konnotationen aus und lenken das Denken der Zuhörer in eine vorbestimmte Richtung. Wir müssen sicherstellen, dass dieses Kopfkino unsere Story auf den Punkt bringt.

Erinnern sie sich noch, wie Franz Münteferings Bild von den „Heuschrecken“ eine steile Medienkarriere hingelegt hat? Das Wort lies zu keiner Sekunde den geringsten Zweifel zu, wie Beteiligungsgesellschaften zu beurteilen sind und welchen Schaden sie anrichten. Das geschmeidige „Kernenergie“ weckt sympathischere Assoziationen als das eher holzige „Atomkraft“. Und „anständig“ wirkt natürlicher als das eher gezwungene „politisch korrekt“. Als Deutschland von einer bildmächtigen „Flüchtlingswelle überrollt“ wurde, konnte das vergleichsweise nüchterne „Wir schaffen das“ der Kanzlerin nur wenige Emotionen mobilisieren. Und während die unter populistischen Dauerbeschuss geratene EU von „Eurokraten“ verwaltet wurde, spürt man beim „Pulse for Europe“ regelrecht, wie wieder Leben und Sinn in die gute alte Dame kommt. Während die große Koalition mit „Mütterrente“ und „Lebensleistungsrente“ kaum angreifbare Projekte formuliert, ergreift Wolfgang Gründinger unter dem Titel „Alte Säcke Politik“ für die Rechte der Jungen Partei. Welche Reaktionen bekommen Sie eigentlich, wenn Sie auf einer Party erzählen, dass Sie Lobbyist in Diensten der Industrie-, Ärzte-, Finanz-, Lebensmittel- oder irgendeiner anderen Mafia sind? Hört irgendjemand noch Ihrem Plädoyer für berechtigte Interessen zu?

Das sind nur einige Beispiele für Sprachbilder, die nur bedingt Inhalt transportieren, dafür aber das Kopfkino anschalten. Sie zeigen, wie schwer es ist, gegen bestehende Assoziationen anzukämpfen. Sie zeigen, wie wichtig es ist, mit Worten zu mobilisieren, mit denen sich Emotionen, Werte und Vorstellungen von einer besseren Welt verbinden lassen.

4. Klarheit

Verabschieden wir uns von den geliebten „Plastic Words“, die Interessen, Positionen und oft auch Unangenehmes in ebenso unverbindlichen wie „netten“ Worthülsen verpacken. Reden wir Klartext und flaggen wir aus, wofür wir stehen und was wir wollen. Das macht angreifbar, aber eben auch anschlussfähig, und generiert gerade in den sozialen Medien Akzeptanz und Respekt dafür, dass mit offenem Visier agiert wird.  

Robuste Debatten gehören zur Demokratie, Rüpelei und Verrohung dagegen nicht. Genauso wenig wie Beliebigkeit oder postfaktisches Fantasieren. Gefragt sind mehr denn je Haltung, Klarheit und solide Fakten, die – eingebettet in mutige Formate und ausdrucksstarke Sprachbilder – ihren Weg in Kopf und Bauch der Menschen finden.

Populär – nicht populistisch

Die Public Affairs wird nicht postfaktisch, Content geht immer noch vor Fiktion. Sie kann auch im populistischen Zeitalter seriös funktionieren. Aber sie muss ihren Instrumentenkasten erweitern und darf die schnellen, emotionalen, spitzen und unterhaltenden Formate nicht aggressiven Populisten überlassen. Aber Debatte in der Demokratie meint Volksbeteiligung, nicht Volkserziehung. Und Debatten entscheiden sich nach einer alten Fußballerregel genau dort, wo es wirklich wehtut.

Egal ob es um Flüchtlingspolitik oder Europa geht – stellt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung aktuelle Regierungspolitik oder für selbstverständlich gehaltene Errungenschaften in Frage, muss diese Debatte geführt und ausgetragen werden. Populär formuliert, mit einer Story, die Sinn vermittelt, und starken Bildern, die Werte plastisch machen und Emotionen mobilisieren. Denn richtig ist auch: Aufs Maul geschaut meint nicht nach dem Maul geredet.

Und noch etwas: Die Waffe des Populisten ist oft die Wiederholung. Was oft genug gesagt wird, erscheint vielen Menschen als wahr. Logik und Fakten setzten sich nicht von selbst durch. Hier muss die Public Affairs lernen, immer wieder, mit Mut zur Redundanz und notfalls auch penetrant, die eigenen Positionen gegenzuhalten – auch weil die zentralen Debatten unserer Gesellschaft sowieso nie enden.

All das lässt die Anforderungen an Handwerk, Tempo und Skills steigen – aber auch die an Haltung sowie inhaltliche und ethische Reflexion des eigenen Tuns. Diese Entwicklung macht Public Affairs unberechenbarer – aber eben auch vielfältiger, spannender, interessanter.

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