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Was Jens Spahn und Christian Lindner mit dem französischen Erfolgspolitiker verbindet

Ein bisschen Macron

Gibt es einen deutschen Emmanuel Macron? Wenn ja, wer könnte das sein? Der französische Staatspräsident hat eine neue Bewegung losgetreten, komplett auf ihn zugeschnitten, und bei den Wahlen die Etablierten vom Sockel gestoßen. Und dabei ganz auf die Macht der sozialen Medien gesetzt. Funktioniert das auch in Deutschland? Wer ist der „deutsche Macron“?

Wer die deutschen Macron-Fans in Social Media analysiert, findet die verblüffende Antwort: auf der einen Seite den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit seiner neuen APO und ihrem Angriff auf die Etablierten. Auf der anderen Seite – und das überrascht – CDU-Mann Jens Spahn, aktuell Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. Spahn gilt als konservativer Modernisierer, der konservative Positionen entschlossen vertritt und zugleich im Wählerbecken von Grün und Rot fischt. Beide Politiker wollen richtig groß rauskommen. Aber was haben sie mit dem „französischen Kennedy“ gemein? Ein Blick auf ihre Social-Media-Fanbase zeigt Parallelen zu Macron. Und doch auch typisch Deutsches.

Denn Deutschland wünscht sich nur ein bisschen Macron.

Macron: Präsidiale Attacke mit Stil und viel Kontrolle

Blicken wir dreieinhalb Monate zurück: Am 7. Mai 2017 gewann Emmanuel Macron die Stichwahl zum französischen Staatspräsidenten. Erst ein Jahr zuvor hatte er seine politische Bewegung, „En Marche!“, gegründet. Das erklärt, warum er in den sozialen Netzwerken bis zuletzt weniger Fans als seine Direktkonkurrentin Marine Le Pen hatte. Ihr Drei-Jahres-Vorsprung auf Twitter mit doppelt so vielen Followern half letztlich wenig. Ein Grund: Ein Großteil ihrer Social-Media-Fans stammte gar nicht aus Frankreich – und war somit nicht wahlberechtigt. Influencer DB hatte errechnet, dass das auf fast jeden Zweiten ihrer Instagram-Follower zutraf. Macrons Instagram-Follower kamen zu 70 Prozent aus Frankreich. Zum Vergleich: Laut WIRED und OMR sind gerade einmal 24 Prozent der 2,4 Millionen Facebook-Fans von Merkel Deutsche.

Macron präsentierte, ja inszenierte sich von Beginn an präsidial. Eigentlich war er schon Präsident. Er musste nur noch gewählt werden. Sein Hashtag lautete #MacronPrésident. Angriff ja, aber bitte mit Stil. Politische Botschaften ja, Meinung nein. Bei Twitter etwa verbreitete er ausschließlich eigenen Content, kaum Retweets mit Botschaften Dritter. So ging er zahlreichen Diskussionen aus dem Weg. Er selbst wollte die Themen setzen und jedwede Kontrolle behalten. Das gilt auch für seine Bildauswahl: hoch professionell, immer inszeniert und stets mit der präsidialen Würde und Distanz, die man von einem Staatsoberhaupt erwartet. Macron gibt sich jung, privat, modern.

Der deutsche Macron: International, innovativ, evolutionär

Dieser Politiker-Typus kommt auch in Deutschland gut an. Knapp vier Prozent, 65.000, der 1,8 Millionen Macron-Fans auf Facebook stammen aktuell laut Like-Check des Online-Experten Felix Beilharz aus Deutschland. Deutsche Macron-Sympathisanten denken international, schauen über den Tellerrand hinaus, konsumieren internationale Nachrichten wie CNN und die Washington Post. Das verrät die Analyse ihrer Facebook-Likes.

Mithilfe von „Social Media Analytics“ hat komm.passion zusammen mit Data Science Consulting die Lebenswelt der Macron-Fans untersucht und durch KI-Algorithmen entschlüsselt. Ihre Facebook-Likes verraten ihre Lebenswelten. Unverfälscht und unmittelbar. Bei der Analyse lassen sich neuronale Netzwerke erkennen und über das „soziale Genom“ Rückschlüsse auf das Milieu der deutschen Macron-Sympathisanten ziehen.

Deutsche Macron-Fans sind nah dran an Innovation, Entwicklung und Fortschritt, geben sich modern-intellektuell und lesen Richard-David Precht. Sie halten nichts von Verschwörungstheorien, sie glauben den USA, auf dem Mond gewesen zu sein. Sie wollen Evolution, nicht Revolution, logisch, sie stammen aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. Sie engagieren sich im bestehenden System, nicht dagegen. Kulturell mögen sie die Bundeskunsthalle, Filmauslese von Arthaus und Ballett genauso wie Star Wars und Luke Skywalker. Ihre Partei des Herzens ist die FDP, Ideen von Bündnis 90/Grüne sind ihnen jedoch nicht vollkommen fern.

Deutsche Macron-Fans lesen die Wirtschaftswoche und unterstützen UNICEF und soziale Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt. Sie lachen über die heute-show und das Titanic-Magazin, mögen's schnieke und ästhetisch, verhehlen nicht einen Hauch von Eitelkeit, lesen selbstbewusst ihre GQ.

Wir haben geschaut, welcher deutsche Politiker ihrem Ideal am nächsten kommt. Und hier landet mit Jens Spahn ein CDU-Mann auf dem Spitzenplatz. Die Silbermedaille sichert sich der Spitzenliberale Christian Lindner. Macron, Spahn und Lindner: moderne Ökonomen mit Ecken und Kanten Macron, Spahn und Lindner sind sich ähnlicher als auf den ersten Blick vermutet:

  • Jung und modern: Alle drei bewegen sich in der gleichen Altersgruppe, um die 40, sind – im traditionellen Verständnis – für ihre aktuelle politische Führungsposition sehr jung und präsentieren, ja inszenieren sich modern.
  • Langzeitstudenten: Alle drei haben recht lang für ihr Studium gebraucht und waren nebenbei noch in anderen Bereichen tätig. • Wirtschafts-Know-how: Macron, Spahn und Lindner haben früh ökonomisch gedacht und gearbeitet, waren auch schon in der freien Wirtschaft tätig.
  • Ecken und Kanten: Alle drei sind alles andere als stromlinienförmig. Macron heiratete seine ehemalige Lehrerin, die 24 Jahre älter ist als er – und stellt damit das gängige Klischee vom erfolgreichen Mann mit jüngerer Partnerin auf den Kopf. Lindner steht zu seinen nicht immer erfolgreichen ersten Gehversuchen als freier Unternehmer. Spahn eckt gern und wohl kalkuliert mit polarisierenden Meinungen an.

Spahn, der konservative Modernisierer der Macht

Jens Spahn, aktuell knapp 82.000 Facebook-Fans, ist bei deutschen Macron-Fans überdurchschnittlich angesagt. In Zahlen: Macron-Fans liken Spahn auf Facebook 22 Mal öfter als der Bevölkerungsdurchschnitt. Er ist die klare Nummer eins unter den beiden „deutschen Emmanuel Macrons“. Innerhalb der CDU ist er der Angreifer, der zugleich konservative Positionen deutlicher ausspricht, als viele sich das trauen. Spahn erneuert die Machtzentrale von innen. Der 37-Jährige kann Menschen mobilisieren, die mit der traditionellen, etablierten CDU und ihrer Spitzenkandidatin Angela Merkel so ihre Probleme haben. Ein typischer Kommentar auf der Spahnschen Facebook-Seite: „Schade Herr Spahn, für mich kommen Sie zu spät! Habe mein Leben lang CDU gewählt, konnte aber Merkel nie meine Stimme geben!" Im Zuge der Flüchtlingskrise kritisierte der Aufsteiger seine Parteivorsitzende offen. Im Bundestag stimmte er als einer von 75 CDU-Abgeordneten für die Ehe für alle. Solche Positionen machen ihn auch für andere Gesellschaftsgruppen wählbar. Dazu zählen Menschen, die bei Grünen oder anderen Linksparteien die klare Kante vermissen. Spahn kann damit gefährlich für Bündnis90/Die Grünen werden.

Er geriert sich als der nahbare Staatsmann, als Mittelweg zwischen Lindner und Macron. In seiner Social-Media-Kommunikation legt er den Fokus auf eigenen Content und arbeitet viel mit Key-Botschaften. Beispiel gefällig? „Unser Triple für Familien: 25 Euro mehr Kindergeld pro Kind, Steuersenkungen für Familien und ein Baukindergeld fürs familiäre Eigenheim“. Zudem ist Spahn ganz Parteimensch. Auf vielen seiner Bilder präsentiert er sich unter CDU-Mitgliedern in den Regionen. Das alles wirkt nicht aufgesetzt oder inszeniert, sondern natürlich, menschlich und authentisch. Spahn – so die Botschaft – ist in der Union zu Hause und für die Parteimitglieder da. Und diese Botschaft kauft man ihm komplett ab. So baut man eine interne Fanbase auf.

Lindner, der polarisierende Macher

Deutlich anders präsentiert sich FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner. Bei den Fans des französischen „Heilsbringers“ steht auch er außerordentlich hoch im Kurs. Zwölfmal öfter als der Bevölkerungsdurchschnitt liken ihn die Macron-Sympathisanten auf Facebook. Lindner setzt wie Jens Spahn lieber auf eigene Themen. Allerdings pflegt der Liberale einen anderen Stil und geht – im Gegensatz zu Spahn – Kommentaren und Facebook-Diskussionen nicht aus dem Weg – und das nur zu gern. Die sozialen Medien sind da für ihn der perfekte Kanal: Lindner weiß, wie er Facebook & Co. gezielt für seine Zwecke nutzen kann. Post vom 9. Juni 2017: „Knapp 300 likes trennen CL noch von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: helft ihr mit? ;)“.

160.000 Fans gefällt das. Wie bei Macron wirkt sein Auftritt komplett durchgeplant und durchgestylt, aber in deutlich anderer Rolle: Bilder zeigen ihn im Privaten, er präsentiert sich auch schon ‘mal im Unterhemd oder auf einer Yacht. Als Macher. Scheinbar handgedrehte Videos enthalten Wackler, die Authentizität vermitteln sollen. Und vor dem geistigen Auge sieht man förmlich, wie Lindner selbst sein iPhone aufs Stativ geklemmt haben mag, um schnell noch einen Dreh durchzuführen. Er ist der Typ, der die Ärmel hochkrempelt und Dinge einfach löst. Ohne großes Team – ohne große Bürokratie. Und weil es so einfach ist, findet er auch noch kurz vor einer neuen Runde der Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen die Zeit, auf dem heimischen Balkon das Wort an seine Fans zu richten. Lindner inszeniert, polarisiert und provoziert – und gefällt sich darin. Die perfekte Strategie, um die Etablierten als Außerparlamentarier anzugreifen und für Aufsehen zu sorgen.

Drei Beispiele, die zeigen: Wer sich seiner Positionierung sehr bewusst ist und seine Social-Media-Aktivitäten konsequent daran ausrichtet, kann über Facebook, Twitter und Co. viele Menschen bewegen.

Macron, Spahn, Lindner: Die Facebook-Wahlkämpfe

Evolution statt Revolution

Wie schaut also der perfekte deutsche Macron aus? Vor allen Dingen gut. Er ist eitel und pflegt sein Äußeres. Der deutsche Macron ist modern und bietet eine Alternative zu den etablierten Machthabern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel – und solchen, die es werden wollen, wie Herausforderer Martin Schulz.

Konservative sehen in Jens Spahn ihren Macron, Liberale favorisieren Christian Lindner. Grüne und Sozialdemokraten nennen hier am ehesten Wilfried Kretschmann und Martin Schulz, zwei aus dem politischen Establishment. Auch deshalb stagnieren beide Parteien in Umfragen, mobilisieren jedoch nicht.

Was wollen die Deutschen? Zu viel Macron? Eher nein. Stattdessen favorisieren sie „ein bisschen Macron“. Denn eigentlich geht es den Deutschen doch recht gut. Und ganz unzufrieden mit unserem System sind sie auch nicht. Sie wollen Evolution, nicht Revolution.

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