Stefan Freundlieb: Beginnen wir direkt plakativ: Wie lange braucht es uns als Berater:innen noch und wann übernehmen die Algorithmen die Arbeit von ganzen Kommunikationsagenturen?
Gunnar Brune: Berater:innen wird es – nicht nur in der Kommunikation – immer brauchen. Aber Berater:in, die nicht mit KI arbeiten, die wird es nicht mehr lange geben. In anderen Worten: Künstliche Intelligenz ist ein sehr potentes Werkzeug, das hilft, Routinen durchzuführen und Übersicht in Komplexität zu bringen. Berater:innen wollen beraten und sich nicht von Routinen Zeit rauben lassen. Sie suchen Klarheit in der Komplexität als die Grundlage ihrer Empfehlungen. Klingt, als ob Berater:innen und KI gut zusammenpassen, oder?
Stefan Freundlieb: Das heißt dann, dass die Bedienung einer KI und damit das Verfassen exakter Anfragen zum Basic Skill Set der Berater:innen werden?
Gunnar Brune: Das ist korrekt – wie bei jedem Briefing. Nur wer mit Präzision vermitteln kann, was die Aufgabe ist, wird ein gutes Ergebnis erhalten. Das gilt umso mehr bei KI, denn aktuell fehlt dieser das „Kritikmodul“ der Menschen. Denn die KI kritisiert noch nicht. Sie wehrt sich nicht. Aber sie kann sehr fleißig und arbeitswillig sein. Menschen, die sie einsetzen, sollten wissen, wie sie funktioniert und nicht nur das eigene Handeln hinterfragen, sondern auch die Arbeit der Maschine. Bei der Arbeit mit Sprachprogrammen wie GPT müssen wir zum Beispiel immer das Halluzinieren der Programme antizipieren und daher in vielen Fällen noch genauer Fakten checken als bei der Arbeit mit Menschen. Das ist aber nur ein Beispiel.
Stefan Freundlieb: In deinem Buch Künstliche Intelligenz heute beschreibst du viele Anwendungsfelder für KI aus der aktuellen Praxis. Sind wir schon im KI-Zeitalter angekommen, ohne dass wir es gemerkt haben?
Gunnar Brune: Ja. Wir sind angekommen und zu viele haben es noch nicht bemerkt. Das hat mit zwei Entwicklungen zu tun: Erstens gibt es eine betriebswirtschaftliche Revolution: KI ist der „Motor“ in vielen innovativen Software-as-a-Service-Produkten, ohne dass wir diese konkret sehen können. Diese Anwendungen sind im Einstieg viel preiswerter als IT-Projekte in Unternehmen, bei denen von vorn entwickelt wird. Viele Unternehmen haben diese Situation schon genutzt und haben dadurch Wettbewerbsvorteile, darunter auch viele mittlere und kleine Unternehmen.
Zweitens hat sich Künstliche Intelligenz weiterentwickelt. Es gibt gleich mehrere Revolutionen: Einmal sehen wird das z. B. an der jüngsten Diskussion um Sprachprogramme, die eben schon anklang. Für die Expert:innen ist das eigentlich Überraschende die Diskussion um ChatGPT, denn die Technologie, auf der dieses Angebot läuft, ist ja schon länger im professionellen Einsatz. Sprechen wir also lieber über GPT, den Generative Pretrained Transformer von OpenAI. ChatGPT war vielleicht „nur" eine PR-Aktion, um uns die Potenziale vor Augen zu halten.