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Warum die CDU-Basis mit der FDP besser kann als mit den Grünen und wieso Sahra Wagenknecht auch gut zur AfD passen würde

Berliner Liebeleien

Bei der Bundestagswahl 2017 geht es weniger um die Frage, ob Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Das scheint praktisch entschieden. Es geht um die Frage, mit wem sie künftig regieren wird. Und da kommt den vier – vermeintlich – kleinen Parteien eine entscheidende Rolle zu. Sie sind das Zünglein an der Waage. Doch wer passt überhaupt zur Wählerbasis von Merkel und der CDU? Wir haben mit Hilfe von Pragmatic Analytic Services (PAS), einer Initiative von komm.passion und von Data Science Consulting, die Lebenswelten der jeweiligen Fans der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten bei Facebook durch KI-Algorithmen entschlüsselt. Heraus kamen überraschende Schnittmengen zwischen ganz Links und ganz Rechts – und zwei Parteien, die um den Platz neben der CDU/CSU auf der Regierungsbank streiten. Jedoch wird die Liebe nur in einem Fall erwidert.

Der liberale Macron

Ein Glas Wein zum Sonnenuntergang auf Sylt. Dabei möchte der gemeine FDP-Wähler seinen geliebten Direktflug auf die Nordseeinsel nicht missen. Das verraten die Klicks in den sozialen Netzwerken. FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner zeigt sich als eine Art „deutscher Emmanuel Macron“. Er verzichtet aber auch darauf, jedermanns Freund sein. Er eckt gern an, auch bei Teilen der FDP-Basis. Die zeigt Nähe zur Partei-Ikone Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. So geht die Partei mit ihrem Ein-Personen-Wahlkampf ein bewusstes Wagnis ein. Denn auf den meisten ihrer Wahlplakate ist nur einer zu sehen – Christian Lindner. Die interne Kritik haben die Liberalen aufgenommen und stellen sich inzwischen, nach der anfänglichen One-Man-Show, in der Kampagne personell etwas breiter auf.

Auch um gerüstet zu sein für die Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU? Schwarz-Gelb ist eine Bündnis-Konstellation, die sich die heutige Generation der Partei-Fans gut vorstellen kann. Dabei erinnert sie sich an die gemeinsame Zeit im vergangenen Jahrtausend – etwa mit Leutheusser-Schnarrenberger in führender Position. Sie war in der CDU-FDP-Koalition der 1990er-Jahre Bundesjustizministerin und verkörperte mit ihrer Weigerung, dem großen Lauschangriff zuzustimmen, das liberale Gewissen der Partei. Die heutigen Liberalen stehen auf die Adenauer-Stiftung, die Junge Union und auf CDU-Nachwuchshoffnung Jens Spahn. Und wenn das Wahlergebnis für das Zweierbündnis rechnerisch nicht reicht, dann darf es für die Liberalen auch gern Jamaica sein. Hauptsache, die Grünen kommen nicht auf die Idee, Direktflüge nach Sylt zu kappen. Denn Bonusmeilen per Lufthansa und Germanwings sammelt der liberale Lebemann reichlich und gern. Die Lindner-Fraktion ist dagegen offen für Neues, testet Carsharing-Angebote wie DriveNow. Und lässt den Wagen dann am Flughafen stehen, um die Fernreise per Emirates anzutreten.

Am Airport könnte sie übrigens auf ihre Freunde von der CDU und von Angela Merkel treffen. Denn der typische Fan der Dauerkanzlerin ist ebenfalls kein Kind von Traurigkeit. Er interessiert sich für die Fußball-WM, steht zeitweise sogar auf Ferrari und fliegt bevorzugt Lufthansa.

Die Lindner-Fans insgesamt sind etwas moderner als die Ur-FDP-Anhänger. Sie identifizieren sich weitgehend mit den Ideen der aktuellen Regierung, vor allem dem christdemokratischen Teil. Sie sehnen sich nach Zeiten einer gemeinsamen Koalition auf Bundesebene. Mitregieren statt Zusehen – Modernität ohne ideologische Scheuklappen.

Daher inszeniert sich die FDP als „neue Partei“, als „Andersmacher“, als „Angreifer“, als „Rocky Balboa der deutschen Politik“ (FDP-Facebook-Post vom 31. Juli). Sie besetzt vermeintlich „neue“ Themen: „Denken wir neu“. Neu, das ist die Digitalisierung: „Die Digitalisierung verändert alles, wann ändert sich die Politik?“. Neu, das sind auch die Botschaften bei traditionellen, aber nicht veralteten Themen: „Die Sicherheit muss besser organisiert sein als das Verbrechen.“ Die Liberalen setzen sich bewusst von anderen Parteien ab und verbinden die eigene Erneuerung mit der Forderung nach einer rundum erneuerten Gesellschaft. Die FDP nutzt hier geschickt Kampagnenelemente, die man sonst aus dem klassischen Brand-Marketing für Produkte kennt.

Die Grünen: Mehr Mut zur Attacke?

Und die Grünen mit ihrem Spitzenduo Göring-Eckardt/Özdemir? Sie haben sich im Wahlkampf auf das ur-grüne Thema besonnen: auf den Umweltschutz. Anfangs belächelt, hat das Thema inzwischen enormes Potenzial entwickelt. Nicht zuletzt durch den Diesel-Skandal: Da riskiert eine ganze Branche die Glaubwürdigkeit von „Made in Germany“, nur weil das Thema „Umwelt“ noch in der Rubrik „Gedöns“ verortet ist.

Aber zumindest den Wahlplakaten fehlt der Mut, das mit der nötigen Aggressivität voranzutreiben. Umweltschutz gehört heute zum Standardrepertoire praktisch aller Parteien. Wer damit Menschen mobilisieren will, darf sich trauen, in der Abteilung „Attacke“ eine Schippe draufzulegen und auch auf Plakaten polarisierender aufzutreten. Hat da der Blick auf mögliche Koalitionen über den Kampf um das beste Ergebnis gesiegt?

Die Facebook-Fanbase würde diesen Schritt wohl mitgehen, das legt zumindest die PAS-Analyse nahe. Grünen-Anhänger geben sich in den sozialen Netzwerken sehr politisch. Die Seiten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann, ihrer beiden Spitzenkandidaten sowie der Europa-Grünen sind ihre ersten Anlaufstellen auf Facebook. Sie liken Greenpeace, die Deutsche Umweltstiftung und Initiativen gegen Atomkraft. Soziale Anliegen sind ihnen auch hier wichtig: Amnesty International, PRO ASYL, Attac und Fairtrade – eine Parallele zur Wählerklientel von Martin Schulz und der SPD: Für diese spielt gesellschaftliche Verantwortung eine ebenfalls große Rolle. Die „roten Socken“ liken die Arbeiterwohlfahrt, die IG Metall, Greenpeace, PRO ASYL und den WWF. Das schafft Nähe zu den Grünen und eine Perspektive entweder in einer gemeinsamen Opposition oder für die Post-Merkel-Ära.

Integration, gleiche Bildungschancen für alle, Pro Europa, die finanzielle Gleichstellung von Mann und Frau. Wiederkehrende Motive auf ihren Plakaten sind die Weltkugel und die Friedenstaube. Typische Parolen lauten „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts.“, „Zukunft kann man wollen. Oder machen.“. Das Machen ist das Problem. Die Bündnis-Grünen möchten handeln, also mitregieren, nicht nur reden. Das klappt aber nur bei einem entsprechenden Wahlergebnis, in dem die Union auf sie angewiesen wäre, um an der Macht zu bleiben. Denn: Weite Teile der CDU/CSU-Basis fremdeln mit den Grünen. Und das liegt nicht einmal an den beiden grünen Spitzenkandidaten. Cem Özdemir ist – zumindest in den sozialen Medien – beliebt auf breiter grüner Front. Anhänger von Winfried Kretschmann, dem zahlreiche Grünen ein CDU-Parteibuch schenken möchten, bis hin zu denen des Parteilinken Hans-Christian Ströbele liken Özdemir auf Facebook. Auch Fans der beiden „deutschen Macrons“, Jens Spahn und Christian Lindner, machen keinen Hehl aus ihrer Sympathie für den grünen Spitzenmann. Bei den Anhängern von Katrin Göring-Eckardt sieht es nicht viel anders aus. Sie schätzen sogar CDU-Mann Peter Altmaier außerordentlich. Leider bleibt die Liebe, zumindest in den sozialen Netzwerken, unerwidert.

Die Fans von Bündnis 90/Die Grünen treten in Social Media ein gegen Rechts, für Bürgerbeteiligung (Compact, Avaaz) und Transparenz (abgeordnetenwatch). Sie geben Seiten, die sich rund um Bio und vegane Ernährung drehen, ein Like. Zerstreuung suchen die Grünen gern beim intellektuellen Zeitvertreib: Arte, ZDF Neo und Politsatire von extra 3 sind erste Wahl. Die Fans von Cem Özdemir zieht es sogar zum Ballett. Ist es am Ende die Intellektualität, die den Grünen den Weg zu „10 plus x“ Prozent versperrt?

Der von der Wählerbasis vorherbestimmte Koalitionspartner der Union nach der Bundestagswahl ist mit der FDP also praktisch ausgemacht. Wenn die Wähler mitspielen. Und wenn nicht noch Unvorhergesehenes allen Prognosen einen fetten Strich durch die Rechnung macht – zum Beispiel zu Gunsten der LINKEN oder der AfD.

AfD und LINKE beweisen: Die Erde ist rund

LINKE und AfD bilden die Pole des politischen Spektrums. Doch die Erde ist rund, und die Wahlklientel beider Parteien weist an ihren Enden mehr Überschneidungen auf, als dies auf den ersten Blick zu vermuten ist: Beide Fangruppen liken auf Facebook überdurchschnittlich häufig Seiten wie Lügenpresse und Pegida. Noch stärker kristallisieren sich die Parallelen im Vergleich der Fanbases von Sahra Wagenknecht, LINKEN-Spitzenkandidatin, und von Alice Weidel, AfD-Frontfrau, heraus. Beide Gruppen sehnen sich nach vermeintlich starken Führungspersönlichkeiten wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und der Französin Marine Le Pen. Wagenknechts Sympathisanten verehren auf Facebook überdurchschnittlich oft Beatrix von Storch aus der AfD. Der starke Mann der Partei, Alexander Gauland, spart sich dagegen einen eigenen Facebook-Auftritt. AfDler wiederum machen aus ihrer Begeisterung für Wagenknecht und die LINKEN-Bundesvorsitzende Katja Kipping keinen Hehl. Die dunkelroten Sozialromantiker und die braunen Opportunisten eint die Ablehnung: Sie sind gegen das Establishment, gegen Hartz IV und gegen die Medien. Nur der Umgang mit den Rechtsradikalen und mit Nazis sowie mit den Grünen bietet Konfliktpotenzial. Während bei den LINKEN eine hohe Sympathie gegenüber Bündnis 90/Die Grünen besteht – und zwar elfmal so hoch wie im Bundesdurchschnitt – liken die Weidel-Fans auf Facebook zehnmal so oft wie Otto Normalverbraucher Anti-Seiten, zum Beispiel „Grüne? Nein danke“.

Fazit

Die CDU/CSU hat deutlich gemacht, dass sie bei einem Wahlsieg mit allen Bundestagsparteien über eine mögliche Koalition verhandeln würde – mit Ausnahme der LINKEN und der AfD. Die PAS-Analyse zeigt, dass die Große Koalition tatsächlich nicht alternativlos sein muss. Gemeinsamkeiten mit FDP und Grünen gäbe es bei der Union genug. Mit ihrer Einschätzung, LINKE und AfD über einen Kamm zu scheren, liegen Merkel & Co., zumindest mit Blick auf die Unzufriedenheit und Anti-Haltung der Wählerbasis, gar nicht mal so falsch. Denn die tickt in vielen Fragen gleich oder ähnlich.

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