komm.passion: Jede Party endet irgendwann. Und diese endete mit einem riesigen Knall. Im März 2000 platzte die Dotcom Blase. Was änderte sich damals?
Alex Güttler: Mit der Internet-Blase platzten auch viele Illusionen. Zum Beispiel die vom „freien Netz“, vom unbegrenzten Wachstums für alle. Plötzlich war klar: Das Internet ist ein Markt, der nach wirtschaftlichen Prinzipien funktioniert. Und zwar knallhart. Es war auch ein Warnsignal an die Wirtschaft: Glaubt nicht alles, was man Euch erzählt. Hinterfragt mehr: Was funktioniert? Was nicht? Und lasst weg, was nichts bringt. Genau das passierte jetzt auch in der Kommunikation.
Gleichzeitig veränderten sich die Machtverhältnisse. Früher wussten wir Agenturen mehr als die Kunden. Doch langsam lernten die Unternehmen dazu. Sie heuerten unsere Leute an und bauten eigenes Know-how auf. Plötzlich wurde immer kritischer hinterfragt, was wirklich etwas bringt, und vieles weggelassen.
Das war die Phase des Aufräumens. Die Branche hat sich professionalisiert und dabei kräftig aufgeräumt. Wer Maßnahmen verkaufen wollte, musste nun anhand harter KPIs beweisen, was das bringt. Die Ausbildung hat sich professionalisiert und akademisiert. Auch das eine Entwicklung, die die Augenhöhe zwischen Agentur und Unternehmen gefördert hat.
Und dann kamen die Prozesse. Aus dem „Mal-schauen-was-passiert“ wurde ein strukturierter Ablauf mit klaren Zielen, Überprüfungen, Anpassungen. Das hat auch die Arbeit in Agenturen verändert und vieles systematisiert, was früher irgendwie lief. Agenturen haben sich mehr und mehr zu „normalen“ Unternehmen entwickelt.
Das geschah nicht über Nacht, das war ein längerer Prozess. Aber er hat der Branche insgesamt sehr gutgetan.
komm.passion: In den 2000er Jahren wurde die Branche zwar digitaler, aber erst die Corona-Pandemie 2019 zwang Agenturen, wirklich anders zu arbeiten.
Alex Güttler: Corona war ganz sicher ein Brandbeschleuniger für viele Prozesse, die eigentlich schon auf der Agenda standen, aber bisher noch gerne verdrängt wurden.
Denn auch ohne Corona haben sich immer mehr Menschen gefragt: Wie kann ich arbeiten, damit es für mich passt? Dabei geht es um sehr zentrale Themen: Zum Beispiel um flexible Zeiten für Eltern – oder für alle, die für Menschen in der Familie, Kinder oder Eltern, Verantwortung übernehmen müssen. Corona hat gezeigt, dass das auch möglich ist, zum Beispiel durch Homeoffice. Während der Lockdowns war das ein Notbehelf, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Inzwischen ist es der oftmals effizientere Weg. Manche arbeiten zu Hause eben konzentrierter, ohne Bürostress, andere brauchen das Team-Umfeld in der Agentur. Der Königsweg ist ganz sicher die Mischung aus Homeoffice und Präsenz. Zwingen muss man niemanden.
Was aber entscheidend ist: Diese Art zu arbeiten erfordert neue technische Voraussetzungen und neue Strukturen: Wie vernetzt man Teams, wenn nicht alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind? Genau das ist die agile, digitale Arbeitswelt. Diese Frage kam nicht erst durch Corona in die Welt. Auch der Fachkräftemangel, die Volatilität am Arbeitsmarkt und vieles andere mehr zwangen Unternehmen zunehmend, hier flexibler zu werden. Aber Corona hat sie dringlich und unaufschiebbar gemacht.