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Wie sieht der Pharma-Außendienst der Zukunft aus?

Ganz ehrlich: Keine Ahnung

Berater:innen wissen alles. Haben auf jede Frage eine Antwort. Kennen alles schon aus dutzenden Projekten. Können Blaupausen und Lösungsvorschläge aus dem Ärmel schütteln. Auch wenn das natürlich überzeichnet ist, steckt dahinter ein Klischee und wohlmöglich sogar ein Funke Wahrheit. Denn eines macht der:die gemeine Berater:in sicher nicht gerne: zugeben, dass er:sie keine Ahnung hat. In einer aktuell viel diskutierten Frage ist das aber die einzig richtige und sinnvolle Antwort: Wie sieht der Pharma-Außendienst der Zukunft aus?

Sprung zurück, 2010: Die Welt ist für den Außendienst von Pharmaunternehmen noch in Ordnung. Die Digitalisierung ist maximal ein weit entferntes Zukunftsthema. Man kennt seine Kund:innen – die Ärztinnen und Ärzte sowie Apotheker:innen in Deutschland – persönlich ziemlich gut und steht schon über Jahre in Kontakt. Und ab und zu darf es auch mal ein kleineres oder größeres Geschenk sein, um die Beziehung lebendig zu halten. Die gute alte Zeit eben.

Keine schöne neue Welt

Sprung nach vorne, 2021: Geschenke machen ist nicht mehr –  nicht mal mehr ein Kugelschreiber ist noch drin. Die langjährigen Kontakte auf Seiten der Ärzte:innen? Scheiden nach und nach in Richtung Ruhestand aus und haben Probleme bei der Praxis-Nachfolge. Die Corona-Pandemie mit den zahlreichen Lockdowns- und Kontaktbeschränkungen hat die persönliche Beziehung zum:zur Arzt:Ärztin weiter erschwert. Erschwerend wirkt auch, dass die Ärzte:innen im Dauerstress sind. Zeit für Pharmaunternehmen: Mangelware. Und als wäre das nicht schlimm genug, gibt es nun auch noch Druck vom Unternehmen: Muss das denn sein, fünf Tage die Woche unterwegs bei Ärzt:innen? Die Digitalisierung ist doch schließlich weit genug fortgeschritten für E-Mails, Video-Calls und virtuelle Präsentation. Hat während Corona doch auch geklappt – oder nicht?

Alles andere als trivial

So oder so ähnlich geht es aktuell sicher einigen Außendienst-Mitarbeiter:innen in Pharmaunternehmen. Die Vorfreude darauf, endlich wieder rausfahren zu können, wird getrübt durch das Damoklesschwert der Digitalisierung, das bedrohlich über der Zukunft des Außendienstes hängt. Und so mag manch innerer Dialog von Pharma-Außendienstler:innen aktuell wohlmöglich so klingen: „Mag ja sein, dass das Ganze während der Pandemie (mal besser, mal schlechter) geklappt hat. Aber spätestens jetzt, wenn alle wieder persönlich in die Praxis fahren dürfen, aber ich wohlmöglich weiter teilweise digital arbeiten muss, werde ich doch abgehängt.“

Kein Vorteil ohne Nachteil

In der Tat ist in der Branche der Trend zur digitalen Ansprache erkennbar. Verstärkt durch die Pandemie wird sich dieser auch nicht mehr ersticken lassen. Zu groß sind die Vorteile in der Effizienz und im Tracking der Außendienst-Aktivitäten. Zu weit und zu einfach sind die technischen Möglichkeiten. Doch darunter leidet ein Verkaufsargument, das bei allen fachlichen und inhaltlichen Kriterien weiterhin eine Rolle spielt: der persönliche, der zwischenmenschliche Kontakt. Denn auch Ärzte:innen sind nur Menschen und auch ihre Gehirne funktionieren wie die von uns allen. Das ist nicht verwerflich, sondern menschlich.

Persönlicher Kontakt wird weniger

Doch beim Blick auf die Entwicklung des Pharma-Außendienstes wird deutlich: Die persönliche Beziehung zum:zur Arzt:Ärztin wird dauerhaft weniger. Sie lässt sich schlichtweg kaum noch aufbauen. Die Gründe sind trivial: Der Ärzt:innen-Mangel in Deutschland führt zur Verknappung. Die übrig gebliebenen Ärzte:innen haben weniger Zeit für ihre Patienten:innen und erst Recht weniger Zeit für Pharma-Vertreter:innen. Die Beziehungen zu Ärzt:innen, die über Jahrzehnte gepflegt wurden, existieren schon heute – oder schon bald – nicht mehr, weil die Generation der Baby-Boomer-Ärzte:innen sich in den Ruhestand verabschiedet. Die Nachfolger:innen, wenn sie denn gefunden werden, haben digitale Kommunikation in der Regel schon in ihrer DNA und häufig mehr Interesse am schnellen und anonymen Austausch im Netz als am persönlichen Gespräch vor Ort.

Der Nährboden für die Digitalisierung des Pharma-Außendienstes:

  • Persönliche Beziehungen werden weniger
  • Ärzte:innen haben immer weniger Zeit
  • Junge digital-affine Nachfolge-Generation
  • Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran
  • Corona hat Pharmaunternehmen zu digitalen Tools gezwungen

Dann ist doch alles gar nicht klar

So scheint die Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit der Pharmaindustrie eine Erkenntnis gebracht zu haben: Der Pharma-Außendienst muss sich verändern. Und zwangsläufig digitaler werden. Doch wie immer im Leben bringt eine Erkenntnis noch lange keine Lösung. Aus komm.passion-Perspektive – wir beraten und begleiten unterschiedliche Pharmaunternehmen, die an genau diesem Punkt stehen – hat die Branche noch keine Lösung gefunden.

Außendienst als Raumschiff

Klar ist also gar nichts. Eine Frage, die wir uns gemeinsam stellen müssen: Geht es denn überhaupt nur um den Außendienst? Können wir ihn isoliert betrachten? Unsere klare Antwort: nein. Der Außendienst ist kein Raumschiff, das isoliert durchs All und um die Pharma-Planeten herum schwebt. Er ist vielmehr ein wichtiger Teil dieser Planeten. Es geht daher um den Dialog zwischen Marketing und Außendienst. Zwischen dem Innen und dem Außen der Unternehmen. Darum, endlich Synergien zu nutzen, die schon lange bestehen. Gemeinsam das Erlebnis des:der Kunden:Kundin über alle Kanäle hinweg zu verbessern. Das Stichwort heißt: Omnichannel. Und das gelingt nur durch verbesserte Zusammenarbeit.

Zugegebenermaßen: Auch wir haben keine fertige Lösung gefunden. Es gibt schlicht noch keine Blaupause für den Pharma-Außendienst – oder vielmehr das Pharmaunternehmen – der Zukunft. Weswegen wir all unseren Kund:innen auf die Frage: „Wie müssen wir das denn machen?“ nur ehrlich antworten können: „Das müssen wir gemeinsam rausfinden.“ Das ist dann Berater:in-Sprech für: „Keine Ahnung.“ Wir können nur erste Ansätze aufzeigen.

Viele Hürden führen zu hoher Komplexität

Dass es keine Antwort auf diese Frage gibt, hat viele Gründe. „One fits all“ wird es nicht geben. Es geht daher teilweise um ganz banale Fragen, zum Beispiel ob als Zielgruppe nicht zum Beispiel auch die Arzthelfer:innen immer wichtiger werden, die den persönlichen Kontakt vor Ort weiterhin wichtiger finden. Hat der Außendienst überhaupt schon das Mindset, um digital erfolgreich zu sein? Wurde er entsprechend geschult? Ist er – im besten Sinne – bereit für die Zukunft?

Unter anderem liegt die fehlende Antwort auch an der Komplexität der Ausgangssituation, die in allen Pharmaunternehmen sehr unterschiedlich ist. Wenn wir über die Zukunft des Pharma-Außendienstes sprechen, dann meint das nämlich mindestens mittelbar auch die Zukunft von Marketing, Kommunikation und wohlmöglich sogar Medical. Denn ein Außendienst kann nur erfolgreich digital arbeiten, wenn er entsprechend munitioniert wird. An diese Munition gebunden sind Weiterbildungen und Coachings, aber mitunter auch Freigabeprozesse in den Pharmaunternehmen. Denn im Vergleich zur alten Print-Welt ist die digitale Welt vor allem eines: schneller. Wer vier Wochen braucht, um auf eine veränderte Rahmenbedingung in der eigenen Indikation zu reagieren, hat vielleicht schon bald das Nachsehen gegenüber dem Wettbewerb.   

Was also tun?

Das alles klingt im ersten Moment vielleicht wenig hoffnungsvoll, aber das wäre eine Fehleinschätzung. Denn stattdessen ist es doch so: In einer Situation, in der (vermutlich) noch niemand die Lösung für ein Problem hat, entsteht ein Wettbewerb um Lösungsansätze. Lösungsansätze, die von der obersten Chefetage zu wollen sind – das wollen wir nicht verschweigen. Sie betrachten den Außendienst nicht isoliert, sondern das ganze Unternehmen und seine Strukturen. Doch gerade das bietet vor allem eines: große Chancen. Elementar ist es an dieser Stelle, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich unterschiedliche Lösungsansätze entwickeln können. Ein solches Umfeld zeichnet sich vor allem durch vier Kernaspekte aus:

  1. Kollaboration statt Silos
  2. Agile Prozesse statt starrer Strukturen
  3. Trial & Error statt Perfektion
  4. Content & Dramaturgie statt 5-Jahres-Strategie

Kollaboration statt Silos

Weder Marketing noch Außendienst haben den Stein der Weisen entdeckt und können die jeweils andere Abteilungen belehren. Es wird also zentrale Aufgabe, gemeinsam an Lösungsansätzen zu arbeiten und die unterschiedlichen Kompetenzen miteinander zu verbinden. Die tiefe Kenntnis des Außendienstes über die Kunden:innen, den Markt und die Hürden im Feld muss mit den Ideen und digitalen Ansätzen des Marketings abgeglichen und weiterentwickelt werden. Silo- und Abteilungsdenken – ja auch das Denken in einzelnen Brands – muss abgeschafft werden. Es braucht echte Zusammenarbeit und Kollaboration.

Agile Prozesse statt starrer Strukturen

Wenn diese Kollaboration nur auf Basis von bestehenden Strukturen, Hierarchien oder Rollenbildern verläuft, dann gewinnt das Unternehmen trotzdem nichts. Hier sind Agilität und Anpassungsfähigkeit gefragt, und das Lösen von alten Mustern. Aber Achtung: Das bedeutet nicht, dass sich alle Strukturen verändern und das gesamte Unternehmen agil werden muss. Vielmehr geht es um so etwas: Wenn Medical eine gute Marketingidee hat – her damit. Wenn der Außendienst nach dem Feedback von Ärzte:innen sagen kann, dass das Marketing die Produktbotschaften anders priorisieren sollte, warum nicht? Für die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen müssen Plattformen und Prozesse etabliert werden, mit denen ein integrierter Austausch auf Augenhöhe möglich ist.

Trial & Error statt Perfektion

Sind diese Prozesse einmal etabliert, muss in ihnen schnell gearbeitet werden. Schon längst gilt nicht mehr der alte Spruch „die Großen fressen die Kleinen“. Das neue Prinzip lautet: „Die Schnellen fressen die Langsamen“. So wird sich auch im Pharmamarkt die Frage gestellt werden, wer reagiert am schnellsten auf Veränderungen und wer findet am schnellsten den besten Zugang zur Zielgruppe. Hier müssen im Unternehmen, auch im Freigabeprozess, Möglichkeiten gefunden werden, um schnell handlungsfähig zu sein – ohne dabei die dringend notwendige medizinische Korrektheit zu verlieren. Und es braucht den Mut von allen Seiten, neue Kommunikationsmaterialien auch gleich wieder zu verwerfen, wenn sie im Feld nicht funktionieren. Nur wenn Unternehmen auch das klar und offen ansprechen, was bei den Zielgruppen nicht funktioniert hat, kann es Fortschritte geben. Ohne Error, kein Erfolg.

Content & Dramaturgie statt 5-Jahres-Strategie

Bei Trial & Error sowie höherer Geschwindigkeit zeigt sich auch: Die Zeiten von Print only sind längst vorbei. Eine Produktstrategie, die man heute entwirft und die bis 2026 funktionieren soll, wird es nicht mehr geben. Dafür ist der Markt zu schnelllebig geworden, der Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu groß. Es geht daher in Zukunft vor allem um guten Content und die passende Dramaturgie. Wie überzeuge ich einen Arzt oder eine Ärztin ohne den persönlichen Kontakt? Wie hole ich sie in meine Inhalte rein? Wie binde ich sie und schaffe Interaktion? Dabei kann auch eine E-Mail helfen, die über Veeva verschickt wird – aber sie ist sicher nicht immer der beste und einzige Weg. Es geht also darum, Inhalte neu zu denken – kundenzentriert, multimedialer zu produzieren und dramaturgischer aufzubauen. Omnichannel halt.

Alles andere als langweilig

komm.passion berät und begleitet unterschiedliche Pharmaunternehmen auf ihrem Weg in eben diese Zukunft – aus unterschiedlichen Perspektiven: In einigen Unternehmen geht es um die Konzeption, Kreation und Entwicklung von Content und (digitalen) Materialien, in anderen um die Prozesse und Strukturen der Zusammenarbeit von Marketing und Außendienst. Dabei zeigen und entwickeln sich bereits erste Lösungsansätze, die für die Zukunft der Branche echte Gamechanger werden können. Ob es aber die eine Lösung und Blaupause geben wird – das darf bezweifelt werden. Zu unterschiedlich sind die Ausgangssituationen, zu schnelllebig die Veränderungen. Sollten wir wider Erwarten doch den Stein der Weisen finden, werden wir es Sie wissen lassen.

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