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Unaufgeregte Betrachtungen im Vorfeld der Bundestagswahl

Die Medien sind an allem schuld! Oder nicht?

Was erlauben sich eigentlich diese Medien? Tag für Tag hagelt es Kritik. Und zwar an den eigenen Formaten und oft von den eigenen Berufskolleg:innen – halt ein selbstreferenzielles System. Da erregen sich Medienschaffende darüber, wie schlecht informiert und inkompetent Lanz und Maischberger wieder waren und dass die Öffentlich-Rechtlichen der AfD eine zu große Bühne bieten. Wie schlecht das Sommerinterview mit Habeck geführt war, wie sehr Talkshow-Dauergast Lauterbach nervt, wie tendenziös die Taz über Friedrich Merz berichtet und dass man in der FAZ Annalena Baerbock so nicht voll gerecht wird. In Social Media geht dieser Tanz munter weiter.

Als nächstes kommt dann gerne die Diskussion, ob Medien zu sehr rechts oder links sind. Sind Medien, die Baerbock kritisieren automatisch rechts? Sind Medien, die Laschet kritisieren automatisch links? Journalist:innen wird zunehmend fehlende Ausgewogenheit vorgeworfen. Fakt ist: Medien spiegeln seit jeher politische Strömungen wider. Tendenzjournalismus und Tendenzschutz (für Verleger:innen) nennt man das. Bild und Spiegel hatten immer schon unterschiedliche Blickwinkel auf die Welt – und das ist auch gut so. Zumindest im Pluralismus und so lange, wie sie sich an journalistische Standards und Sorgfaltspflichten halten. 

Medien sollen kritisch nachfragen, reflektieren und Positionen beziehen – nicht nur über die eigenen Formate. Und gerade deshalb ist der Aufschrei darüber, dass systematisch das Buch und der Lebenslauf der grünen Kanzlerkandidatin unter die Lupe genommen wurden, komplett am Thema vorbei. Genau DAS ist die Aufgabe der Medien. Zu berichten, was nicht offensichtlich ist. Eingehend und umfassend zu prüfen, ob eine öffentliche Person unser Vertrauen verdient hat, die Wahrheit spricht, gut handelt und zum Vorbild taugt. Vom Grundgedanken her ist es professionell, insbesondere diejenigen genau zu analysieren, die sich um Machtpositionen bewerben. Um dann zu beobachten, wie diese Personen mit der Kritik umgehen. 

Meinung statt Meinungsbildung

Also doch alles in Butter? Leider schon allein wirtschaftlich nicht. Gute Recherche kostet Zeit und damit Geld. Doch wenn Informationen im Web nahezu unbegrenzt „for free“ vorhanden sind, verliert der bezahlte Journalismus immer mehr an Boden. Digitale Erlösmodelle greifen nur sehr langsam. Die Aufmerksamkeitsökonomie zwingt Medien eher dazu, wohlfeile Meinungsthemen aufzugreifen, anstatt aufwendige Recherchen zu starten. Klar, ist ja billiger und wird ja auch gelesen oder geguckt. Das ist schade, denn angesichts zunehmender Irrationalitäten und bewusst gestreuter Fake News in Social Media brauchen wir die seriöse Berichterstattung als Gegenpol. Es lebe die „Lügenpresse“ – nie war sie wertvoller als heute.

Kommen wir damit in die radikalen Filterblasen und kriegen den Dialog wieder in Gang? Vermutlich nicht bei denen, die immun sind gegen Argumente und die das eigene Weltbild nur bestätigen wollen. Die glauben, ein paar Headlines und ein paar Meinungen reichen und schon kann man auf Augenhöhe mit anerkannten Virologen diskutieren. Das ist zwar auch Teil unserer Meinungsfreiheit und das kann man so machen, aber wir müssen uns trauen, es als das zu benennen, was es ist: ziemlich dämlich! Die Wahrheit ist: Eine differenzierte Meinungsbildung ist harte Arbeit! Viele machen es sich daher lieber in ihrer Bubble bequem.

Fakes werden zu Fakten

Die Algorithmen der sozialen Netzwerke vervielfachen den klassischen Bestätigungsfehler: Jeder bleibt bestätigt unter sich und alles drumherum ist Tabu. So kann letztlich jeder Fake neben Fakten stehen. Plötzlich wird es zur Wahrheit, dass uns bei der Corona-Impfung Chips eingesetzt werden, Trump um die Wahl betrogen wurde und die Erde eine Scheibe ist. Die Wahrheit wird ein immer dehnbarerer Begriff.

Doch es gibt auch Hoffnung an den Rändern der Bubbles. Viele Menschen sind abgeschreckt von dem radikalen Getöne, suchen Differenzierung und wissen, dass die Lüge gerne schreit. Ob eher rechte oder linke Journalist:innen mit gut recherchierten Beiträgen weiterhelfen, ist da eigentlich zweitrangig. Und da gibt es auch noch sehr viele erstklassige wie mutige Kolleg:innen – im Web und in den klassischen Medien. „Keine Macht den Dummen“ las ich vor einiger Zeit im Web. Ok, das ist vielleicht böse, aber wer will bestreiten, dass wir eine Renaissance der Vernunft brauchen? Und Kritik ist rechts wie links und in der Mitte notwendig. Sonst wird das nichts mehr mit dem Pluralismus!

PR- und Kommunikationsmanager:innen tragen hier unzweifelhaft ebenso eine hohe Verantwortung. Sie müssen zuspitzen und kreative Wege finden, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Zugleich müssen sie aber darauf achten, keine Ressentiments zu bedienen, die am rechten oder linken Rand Öl ins Feuer gießen. Gerade wenn Medien an mangelhafter Finanzierung leiden und teilweise auf dem Rückmarsch sind, müssen Unternehmen mehr in die Verantwortung gehen. Wir alle haben von Demokratie und Rechtsstaat enorm profitiert. Nun müssen wir beides gemeinsam erhalten.

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