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KI in der Kommunikation

ChatGPT: Konkurrenz, Kolleg:in oder Werkzeug?

Mit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT und gehypten Foto-Tools wie Lensa hat Künstliche Intelligenz (KI) in den letzten Wochen noch einmal einen starken Push in der öffentlichen Wahrnehmung bekommen. Ist KI nur eine weitere Sau, die wir durchs Technologie-Dorf treiben, oder stehen wir vor einer echten Disruption, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben? Und was bedeutet das für die Kommunikation? Ein Gespräch mit Gunnar Brune, Autor des frisch publizierten Fachbuchs Künstliche Intelligenz heute.

Stefan Freundlieb: Beginnen wir direkt plakativ: Wie lange braucht es uns als Berater:innen noch und wann übernehmen die Algorithmen die Arbeit von ganzen Kommunikationsagenturen?

Gunnar Brune: Berater:innen wird es – nicht nur in der Kommunikation – immer brauchen. Aber Berater:in, die nicht mit KI arbeiten, die wird es nicht mehr lange geben. In anderen Worten: Künstliche Intelligenz ist ein sehr potentes Werkzeug, das hilft, Routinen durchzuführen und Übersicht in Komplexität zu bringen. Berater:innen wollen beraten und sich nicht von Routinen Zeit rauben lassen. Sie suchen Klarheit in der Komplexität als die Grundlage ihrer Empfehlungen. Klingt, als ob Berater:innen und KI gut zusammenpassen, oder?

 

Stefan Freundlieb: Das heißt dann, dass die Bedienung einer KI und damit das Verfassen exakter Anfragen zum Basic Skill Set der Berater:innen werden?

Gunnar Brune: Das ist korrekt – wie bei jedem Briefing. Nur wer mit Präzision vermitteln kann, was die Aufgabe ist, wird ein gutes Ergebnis erhalten. Das gilt umso mehr bei KI, denn aktuell fehlt dieser das „Kritikmodul“ der Menschen. Denn die KI kritisiert noch nicht. Sie wehrt sich nicht. Aber sie kann sehr fleißig und arbeitswillig sein. Menschen, die sie einsetzen, sollten wissen, wie sie funktioniert und nicht nur das eigene Handeln hinterfragen, sondern auch die Arbeit der Maschine. Bei der Arbeit mit Sprachprogrammen wie GPT müssen wir zum Beispiel immer das Halluzinieren der Programme antizipieren und daher in vielen Fällen noch genauer Fakten checken als bei der Arbeit mit Menschen. Das ist aber nur ein Beispiel.

 

Stefan Freundlieb: In deinem Buch Künstliche Intelligenz heute beschreibst du viele Anwendungsfelder für KI aus der aktuellen Praxis. Sind wir schon im KI-Zeitalter angekommen, ohne dass wir es gemerkt haben?

Gunnar Brune: Ja. Wir sind angekommen und zu viele haben es noch nicht bemerkt. Das hat mit zwei Entwicklungen zu tun: Erstens gibt es eine betriebswirtschaftliche Revolution: KI ist der „Motor“ in vielen innovativen Software-as-a-Service-Produkten, ohne dass wir diese konkret sehen können. Diese Anwendungen sind im Einstieg viel preiswerter als IT-Projekte in Unternehmen, bei denen von vorn entwickelt wird. Viele Unternehmen haben diese Situation schon genutzt und haben dadurch Wettbewerbsvorteile, darunter auch viele mittlere und kleine Unternehmen.

Zweitens hat sich Künstliche Intelligenz weiterentwickelt. Es gibt gleich mehrere Revolutionen: Einmal sehen wird das z. B. an der jüngsten Diskussion um Sprachprogramme, die eben schon anklang. Für die Expert:innen ist das eigentlich Überraschende die Diskussion um ChatGPT, denn die Technologie, auf der dieses Angebot läuft, ist ja schon länger im professionellen Einsatz. Sprechen wir also lieber über GPT, den Generative Pretrained Transformer von OpenAI. ChatGPT war vielleicht „nur" eine PR-Aktion, um uns die Potenziale vor Augen zu halten.

Künstliche Intelligenz heute

Gunnar Brune berichtet von der erfolgreichen Anwendung künstlicher Intelligenz in der Praxis – mit Interviews mit Expert:innen aus Wirtschaft, Medizin und Wissenschaft. Für alle, die wissen möchten, wie KI bereits heute nutzbringend eingesetzt wird.

Stefan Freundlieb: Lass uns einmal konkret über die Kommunikationsbranche sprechen: Was für Möglichkeiten existieren hier in Bezug auf KI? Wo kann sie unterstützen?

Gunnar Brune: Auch hier gilt: Künstliche Intelligenz arbeitet in fast allen Branchen schon auf fast allen Stufen der Wertschöpfungskette, in jedem Fall auch in der Marken- und Unternehmenskommunikation. Sie arbeitet in der Erforschung des Publikums und der Vorhersage seines Verhaltens. Sie arbeitet in der Analyse von Kommunikationskanälen und der Empfehlung dafür. Sie arbeitet im Mediaeinkauf und -verkauf. Sie arbeitet in der Fraud-Detection in den digitalen Medien. Sie wird genutzt, um schneller kreative Konzepte zu entwickeln. Sie wird in der Content-Produktion genutzt. Sie analysiert die mediale Rezeption. Sie arbeitet im Maschinenraum der Kommunikationsteams. Teamplanung, Personal, Kundenakquise. Wir finden überall Möglichkeiten, sie einzusetzen. Es liegt ans uns, das klug zu tun.

 

Stefan Freundlieb: Wie ändert sich unser Storytelling durch KI, wenn wir automatisiert optimierten Content in kürzester Zeit erstellen können?

Gunnar Brune: Heutige KI basiert in hohem Maße auf Mustererkennung und Wiederholung. Wirklich überraschendes Storytelling, das emotional und rational zu überzeugen vermag, das ist die große Kunst bei gutem Content und beim Storytelling – und das kann KI bislang noch nicht.

Kommunikation ist in vielen Fällen aber keine hohe Kunst, sondern Handwerk. Wir pumpen Content in die Kanäle und beklagen, dass ein immer größerer Anteil der Arbeit in Agenturen und Kommunikationsabteilungen in der Steigerung des Outputs an einzelnen „Content-Pieces“ liegt. Davon wird ein großer Teil natürlich von KI übernommen werden. Kreativ-Teams werden sich vielleicht wieder mehr auf den Kern der Geschichte konzentrieren können. Vielleicht wäre das eine Entwicklung, die diesen Beruf wieder attraktiver macht?



Stefan Freundlieb: Ändert sich dadurch auch die Art, wie wir maschinell produzierten Content rezipieren?

Gunnar Brune: KI wird die Multiplikation und Distribution von Content so potenzieren, dass dies auch Folgen für die sozialen Medien und die Medien insgesamt haben wird. In den sozialen Netzwerken wird bald 99 Prozent des Contents, der neu gepostet wird, automatisch erstellt sein. Das heißt, er wird auf Basis von populären Mustern zusammengestellt, auch in gewisser Weise kopiert, und dargestellt werden. Diese Netzwerke werden in diesem Prozess durch das immer Gleiche von langweiliger „heißer Luft“ verstopft und dadurch für die Nutzer:innen irrelevant werden.

Generell gehe ich davon aus, dass wir durch die Möglichkeiten der einfachen Textproduktion in der näheren Zukunft ein Übergewicht an unsinnigen und langen Texten erhalten, die vermeintlich Aussagen stützen. Das ist ein Vorteil für alle, die kontrafaktisch arbeiten und damit die Verschärfung eines Problems, dem wir seit längerem ratlos gegenüberstehen.

Wir pumpen Content in die Kanäle und beklagen, dass ein immer größerer Anteil der Arbeit in Agenturen und Kommunikationsabteilungen in der Steigerung des Outputs an einzelnen „Content-Pieces“ liegt. Davon wird ein großer Teil natürlich von KI übernommen werden. Kreativ-Teams werden sich vielleicht wieder mehr auf den Kern der Geschichte konzentrieren können. Vielleicht wäre das eine Entwicklung, die diesen Beruf wieder attraktiver macht?
 

Stefan Freundlieb: Birgt gerade Künstliche Intelligenz damit die Gefahr, uns dümmer zu machen?

Gunnar Brune: Auf keinen Fall. Wer sich intensiv mit Storytelling beschäftigt, stellt fest, wie sehr wir mit unseren Vorfahren verwandt sind und wie sehr früher und heute Intelligenz und Dummheit fröhliche Koexistenz feiern. Menschliche Intelligenz ist nicht abhängig von Technologie. Kommunikation kann abhängig von Technologie sein. Technologie kann Zugang zu klugen Gedanken geben, tut sie aber leider nicht immer.

Ich bin überzeugt, dass KI in vielen Diskursen die Stimmen derer, die kontrafaktisch argumentieren, noch lauter machen wird als bisher. Zum Glück reagieren wir Menschen zwar schnell auf Lautstärke, aber wir empfinden Lärm auch schnell als störend. ;-)

 

Stefan Freundlieb: Einige haben die Sorge, dass ihre Arbeitsstelle komplett durch KI ersetzt werden kann, für andere spielt das Thema im Alltag womöglich noch gar keine Rolle. Wie sehen Arbeitnehmer:innen denn der Zukunft von KI am Arbeitsplatz allgemein entgegen?

Gunnar Brune: Mit AI.HAMBURG habe ich eine Umfrageserie durchgeführt und dabei haben wir feststellen müssen, dass sich die Mehrzahl der Menschen am Arbeitsplatz nicht auf Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz vorbereitet fühlen. Ich arbeite zusammen mit AI.HAMBURG daran, das zu ändern.

 

Stefan Freundlieb: Wie kann eine Zusammenarbeit von KI und Menschen am Arbeitsplatz konkret aussehen?

Gunnar Brune: Ich würde das nicht Zusammenarbeit nennen. Reden wir lieber von Werkzeugen, die Menschen nutzen. Dadurch verändern sich natürlich Aufgaben und natürlich muss jeder von uns lernen, wie diese Werkzeuge funktionieren. Aber durch Konzepte wie Low-Code oder No-Code und der Idee des Citizen-Developers wird sich sogar die Grenze zwischen den „Nerds“ und den „Anwendern“ verwischen. Es passieren gerade spannende Dinge. Ich glaube auch, dass sich für viele, die nur schwer Zugang zu unserer heutigen Art zu arbeiten gefunden haben, neue Chancen ergeben. Es wird sehr spannend.

Aber natürlich gibt es eine Herausforderung: Wer nicht bereit ist zu lernen, auszuprobieren und Fehler zu machen, wird in dieser Entwicklung bestimmt nicht vorn sein.

Künstliche Intelligenz im CLIFFHANGER Podcast mit Gunnar Brune

Storytelling kann Spaß machen und Wirkung erzielen. Im Podcast CLIFFHANGER erzählen Gunnar Brune und York Pijahn, wie Storytelling funktioniert. Gut gelaunt und informativ. Denn das Leben ist zu kurz für langweilige Geschichten.

Stefan Freundlieb: Dass Künstliche Intelligenz auf Basis von vorhandenem Wissen trainiert werden muss, ist allgemein bekannt. Wo siehst du da die Gefahren?

Gunnar Brune: Natürlich, unser vorhandenes „Wissen“ spiegelt auch unsere Irrtümer, Vorurteile und Glaubenssätze wider. Wir machen alle Fehler, und vieles, was Menschen tun, kann mit Fug und Recht als „böse“ bezeichnet werden. Dem kann sich eine Maschine, die von uns trainiert wurde, nicht entziehen. Der Unterschied ist: Ein Mensch macht einen Fehler „zufällig“, und manchmal häufiger. Eine Maschine macht ihn systematisch. Dieses Verständnis ist eine wichtige Basis für den aktuellen Diskurs um den Artificial Intelligence Act (AIA) der EU.

 

Stefan Freundlieb: Was rätst du jetzt Unternehmensentscheider:innen und Kommunikationsverantwortlichen, um sich auf bevorstehende Entwicklungen einzustellen?

Gunnar Brune: Ich zitiere aus meinem Buch Künstliche Intelligenz heute. Prof. Ulf. Brefeld von der Leuphana Universität sagt dort: „Wenn ich jetzt nicht in AI investiere, dann kann es sein, dass das mein letzter entscheidender Fehler war.“

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